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Erdogans Kniefall vor Putin und die Kriegserklärung des Westens

erdogans kniefall vor putin und die kriegserklaerung des westens
erdogans kniefall vor putin und die kriegserklaerung des westens

Der türkische Präsident Erdogan hat es getan. Er hat sich bei Putin entschuldigt. Ein weiterer Beweis dafür, dass hochrangige Politiker nicht dumm sind. Sie können sich verzocken, sie können bis zuletzt bluffen, kämpfen, sich an Strohhalmen festhalten… aber sie sind nicht dumm.

Fassen wir im Schnelldurchlauf zusammen, was mit der Türkei geschehen war und was nun mit ihr geschieht. Erdogan hat anderhalb Jahrzehnte geduldig auf ein Neoosmanisches Imperium hingearbeitet. Mit „Soft Power“ hat die Türkei ihre Fühler großräumig ausgestreckt. Ein Imperium braucht eine vereinende Ideologie. Die türkische säkulare Regierungsform, die von Atatürk („Vater der Türken“) nach dem Ersten Weltkrieg etabliert wurde, die neue lateinische Schriftform, die Atatürk eingeführt hatte, waren nicht geeignet, die Türkei zum zentralen und verbindenden Element der islamischen Welt des Nahen Ostens zu machen. Erdogan vollzog den Schwenk von Säkularität zum Islam. Koran-Schulen schossen unter seiner Regentschaft wie Pilze aus dem Boden. Die Lehre der arabischen Sprache und Schrift wurde massiv vorangetrieben. Die Türkei sollte islamisch werden, um von der islamischen Welt als Anführer angenommen zu werden.

Vor sechs Jahren überwarf sich die Türkei mit Israel. Israels Außenpolitik basiert darauf, keine Regionalmacht neben sich selbst im Nahen Osten zu dulden. Das gilt auch für die Türkei, deren Ambitionen schon damals nicht zu übersehen waren. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden auf Eis gelegt. Dann kam der „Arabische Frühling“. Die Interessen von USA und Türkei fielen zeitweilig zusammen. Beide waren daran interessiert, die Regionalmächte des Nahen Ostens zu schwächen. Libyen als Antreiber nordafrikanischer Integrationsprozesse wurde zerstört, Ägypten stark geschwächt, Syrien angegriffen. Syrien ist als säkularer Staat eine besonderere Hürde für neoosmanische Pläne. Diese Barriere nach Süden sollte weggeräumt werden. Der Sturz von Assad war der Türkei daher ein besonders wichtiges Anliegen. So wichtig, dass Erdogan unverhohlen auf die Terrororganisation Islamischer Staat und andere islamistische Terrorgruppen setzte und die Türkei nicht nur zum Islam, sondern zum radikalen Islamismus trieb. Den USA und auch der EU war das nur Recht, sie verfolgten hierbei eigene anti-eurasische Pläne.

Erdogan streckte seine Fühler auch auf den krisengeschüttelten Balkan aus und organisierte 2015 eine Flüchtlingswelle aus jungen Männern, die den Balkan überfluten und islamisieren sollten. Den USA war das Recht, um die ungehorsam gewordene EU zu schwächen. Der EU war das gar nicht Recht, aber auf den unerwarteten Angriff konnte sie vorerst nicht anders reagieren als mit dem deutschen Staubsauger, der die Flüchtlinge vom Balkan nach Deutschland zog, um den vorzeitigen EU-Zerfall zu verhindern. Die Beziehungen zwischen EU und Türkei waren dadurch vermiest, aber solange die EU gegen Erdogans Angriff wehrlos war, leckte sie beschwichtigend seine Stiefel, in der Hoffnung, damit Zeit zu gewinnen und die Situation abzumildern.

Erdogan hatte eine Alternative zum Neoosmanischen Reich. Das war die Mitgliedschaft im Seidenstraßenprojekt von China, gepaart mit einer strategischen Partnerschaft mit Russland. Nach der Kriegserklärung des Westens an Russland 2014 bot Putin der Türkei mit Türkisch Stream sogar die Möglichkeit an, wichtigstes Transitland für russisches Gas in die EU zu werden. Auch andere Warenströme im Rahmen der Neuen Seidenstraßen sollten durch die Türkei verlaufen und die großen Wirtschaftsräume Asien und EU verbinden. Ein Geschenk Allahs geradezu. Als Transitland müssen Sie nichts tun, außer abzukassieren und es sich dabei gut gehen zu lassen. Einfach nur, weil sie in einer günstigen geographischen Lage geboren wurden.

Erdogan war das zu wenig. Oder zu langweilig. Er entschied sich jedenfalls für sein neoosmanisches Projekt und versuchte Syrien zu zersdrücken. Syrien erwies sich aber als wehrfähig, natürlich auch dank der Unterstützung von Iran, Russland und China. Als Syrien Ende 2015 dem Zusammenbruch nahe schien und der Westen mit bereits beschlossenen Plänen zur Flugverbotszone zum Todesschlag ausholte, mischte sich Russland militärisch ein und kippte die Situation radikal. Der angeblich so mächtige IS, für dessen Zerschlagung die USA mindestens fünf bis zehn Jahre einplanten, ist neun Monate nach Beginn der russischen Intervention an allen Fronten auf dem Rückzug. Sein Ende ist beschlossene Sache und bereits absehbar.

Der russische Einsatz wandte sich nicht gegen die Türkei, kam Erdogans imperialen Plänen aber in die Quere. Der Erhalt des säkularen syrischen Staates lässt kein Neoosmanisches Reich zu. Erdogan setzte alles auf eine Karte und eskalierte die Situation mit dem planmäßigen Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs. Putin hat nicht übertrieben mit seiner Darstellung, der Angriff war tatsächlich hinterhältig. Die türkischen Kampfflugzeuge kreisten in Lauerstellung stundenlang hinter einer Bergkuppe, unsichtbar für russische Radare. Als das Werk vollbracht war, wandte sich Erdogan nicht an Russland, um sich zu beschweren oder eine Klärung des Vorfalls zu verlangen. Er lief direkt zur NATO. Das Klakül der Eskalation war klar. Die NATO sollte sich hinter die Türkei stellen und Russland aus Syrien rauspressen. Im November 2015 schien das Erdogan noch realistisch. Weil ihm irgendwer aus der NATO zugeflüstert hatte, dass es realistisch ist. Das US-Verteidigungsministerium hat sich im Syrien-Krieg immer wieder als Kriegstreiber offenbart und Obamas Bemühungen einer Deeskalation geradezu demonstrativ Steine in den Weg gelegt. Auch US-Vizepräsident Biden hat die Türkei zur Eskalation aufgemuntert.

Erdogan stolperte in diese Falle. Die NATO zeigte sich kühl und versagte die erhoffte Unterstützung. Selbst der verbale Zuspruch war nur mäßig. Eine anti-russische Kampagne wurde nicht gestartet. Und schon gar nicht kam es zu einem NATO-Militäreinsatz, der Russland aus Syrien zu verdrängen versucht hätte. Die USA hatten niemals vor, wegen Erdogan einen Krieg gegen Russland zu beginnen. Sie hatten vor, Türkei und Russland in einen gegenseitigen Krieg zu verwickeln. Aber Russland ließ sich nicht provozieren und die Türkei hatte im Alleingang nicht den Mut, Russland militärisch entgegen zu treten. Die diplomatische Eiszeit zwischen Türkei und Russland war dennoch ein Gewinn für die USA. Die eurasischen Integrationsbemühungen erlitten einen schweren Schlag. Die letzte hunverseuchte Landbrücke zwischen Asien und EU wurde verseucht. Vom Baltikum bis zur Türkei wurde ein breiter Vorhang aus russlandfeindlichen Staaten aufgespannt.

Putin hat auf den Abschuss des russischen Kampfflugzeugs scharf, aber besonnen reagiert. Er sprach von Verrat, drohte Konsequenzen an, vermied aber heftige Reaktionen und ließ Erdogan von Beginn an die Tür für die Normalisierung der vergifteten Beziehungen offen. Die drei Bedingungen, die schnell formuliert und bis heute immer wieder öffentlich wiederholt wurden: Eine Entschuldigung von Erdogan, eine Entschädigung für die Angehörigen des toten Piloten und für das abgeschossene Flugzeug, eine strafrechtliche Verfolgung der für den Abschuss Verantwortlichen.

Nicht hinnehmbar für Erdogan. Nicht nur wegen seines Stolzes. Sondern auch, weil er um sich herum eine Mannschaft versammelt hat, deren gemeinsames Ziel das Neoosmanische Reich war. Davutoglu war der ideologische Architekt dieses Projektes. Eine Entschuldigung bedeutete das Eingeständnis der Niederlage und die Beendigung des Projektes. Und das bedeutete Unmut in Erdogans Mannschaft und bedrohte direkt seine politische Karriere. Erdogan gab sich entsprechend hart. Man habe sich für nichts zu entschuldigen. Wenn überhaupt, müsse sich Putin entschuldigen. Russland überlegte gründlich und ohne Hast und setzte der Türkei die Daumenschrauben an. Nahrungsmittelimporte aus der Türkei und Tourismusreisen in die Türkei wurden gestoppt. Russland stellte die meisten Touristen in die Türkei, die Zahl sank in diesem Jahr um 92 %. Gleichzeitig sanken auch die Touristenzahlen aus Europa um ein Drittel, weil die Situation in der Türkei unruhig ist und Meldungen über Terroranschläge in der Türkei fast wöchentlich durch die Medien gingen. Die türkische Wirtschaft wurde schmerzhaft getroffen. Parallel dazu verlor Erdogan den Kampf gegen die EU. Die Flüchtlingskrise konnte den Balkan nicht chaotisieren. Inzwischen ist der Flüchtlingsstrom weitgehend unter Kontrolle. Deutsche Kriegsschiffe patroullieren vor der türkischen Küste. Der Blitzkrieg gegen die EU ist gescheitert und für mehr hat Erdogan nicht die Kapazitäten. Jetzt geht die EU in die Gegenoffensive, Deutschland hat den Genozid an den Armeniern als solchen anerkannt. Ein klares Zeichen, dass das Stiefellecken vorbei ist. Die diplomatischen Beziehungen zwischen EU und Türkei sind auf einem Tiefpunkt angelangt.

Zwischenfazit. Erdogan standen zwei strategische Ausrichtungen offen. Zentraler Eurasischer Brückenkopf oder Neoosmanisches Imperium. Erdogan entschied sich für letzteres und verlor. Er wurde von den USA ausgenutzt und verraten, hat sich die EU, Russland, Israel und Iran zu Feinden gemacht. Erdogan hat damit alle angrenzenden Regional- und Weltmächte gegen sich aufgebracht. Im Austausch hat er bessere Beziehungen zur Ukraine und zu Saudi-Arabien bekommen und sich mit dem IS verbrüdert. In die Lehrbücher für Geopolitik wird das als „Epic Fail“ eingehen. Zu allem Genannten kommt hinzu, dass die USA ihr längst angekündigtes Projekt vom unabhängigen Kurdistan ungeniert vorantreiben und damit offen die nationale Souveränität der Türkei angreifen. Erdogan hat sich und sein Land in eine furchtbare Sackgasse manövriert.

Das alles ist Erdogan natürlich nicht entgangen. Er suchte schon sehr bald nach dem verhängnisvollen Abschuss der Su 24 die Annäherung an Russland, sendete Signale, belauerte Putin beim Klimagipfel in Paris vor einer Toilette, ließ seine Diplomaten beschwichtigende Worte sprechen. Es hat alles nichts genützt. Russland wiederholte gebetsmühlenartig die drei Bedingungen für die Wiederherstellung partnerschaftlicher Beziehungen. Erdogan nutzte die Zeit, um die Wende vorzubereiten. Davutoglu ist gegangen worden und wurde durch eine gefügige Marionette ersetzt. Davutoglu hat keine schmutzige Wäsche gewaschen und hat bei seinem Abgang Erdogan den Rücken gestärkt. Auch er war sich der Sackgasse bewusst und er war sich bewusst, dass mit ihm als ideologischem Vater des Neoosmanischen Reiches der zwingend notwendige Rückweg aus der Sackgasse nicht möglich ist.

Jetzt ist Erdogans Entschuldigung da. Daneben bietet er eine Entschädigung an und verspricht, dass gegen die Person, die mit dem Tod des russischen Piloten assoziiert ist, bereits ein Verfahren läuft. Auf alle drei Forderungen Russlands ist Erdogan damit eingegangen. Aber das ist nicht einfach die Unterwerfung eines Alpha-Männchens unter einen anderen, wie dieser launige Artikel suggeriert. Das ist die Absage an das Neoosmanische Reich. Die geopolitische Großwetterlage ändert sich damit mal wieder dramatisch, von einem Tag auf den anderen.

Wie dramatisch, zeigt sich an den Ereignissen, die um den Tag der Entschuldigung passieren. Das Timing ist kein Zufall.

  1. Gasprom kündigt an, dass die Bereitschaft zu Verhandlungen über Türkisch Stream noch da ist. Kaum sagt sich Erdogan von seiner neoosmanischen Linie ab, bekommt er die Einladung für die Seidenstraßen-Linie ins Haus.
  2. Israel und Türkei nehmen wieder diplomatische Beziehungen auf. Israel ist dazu bereit, weil Erdogan seine imperialen Ansprüche fallen lässt.
  3. In Deutschland wird Klage gegen Erdogan eingereicht. Wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit! Wenn der Westen einen Staatsmann damit anklagt, ist es das Aussprechen eines Todesurteils. Milosevic, Gaddafi, Janukowitsch, Assad und viele andere können ein Lied davon singen. Es spielt keine Rolle, dass das deutsche Gericht nicht zuständig ist und die Klage vermutlich gar nicht bearbeiten wird. Das Signal ist klar und es kommt auf den Tag genau, als Türkei und Russland sich wieder annähern. Die 200-seitige Anklageschrift lag längst in der Schublade und die Anwälte warteten nur auf den Fass-Befehl.
  4. Im Flughafen in Istanbul hat sich ein Terroranschlag ereignet. Einen Tag nach Erdogans Entschuldigung. Die Details sind von großer Bedeutung. Größter türkischer Flughafen, „Tor zur Türkei“, Ankunftsterminal für internationale Flüge. Das passt überhaupt nicht in das Muster der Anschläge der letzten Monate. Hier sind westliche Geheimdienste am Werk, die der türkischen Tourismusbranche einen Schlag unter die Gürtellinie verpassen.

Als er vom Osmanischen Reich phantasierte und dafür eine strategische Dummheit nach der anderen beging, war Erdogan „unser Hurensohn“. Man hat ihn gewähren lassen, hat über alle seine Schandtaten hinweggesehen, selbst wenn sie der Öffentlichkeit nicht mehr verborgen werden konnten. Die Absage an das Osmanische Reich kann in strategischer Hinsicht nur die Hinwendung zu den Seidenstraßen bedeuten. Das macht Erdogan zum Hurensohn, der auf der falschen Seite steht. Der Krieg gegen ihn ist eröffnet, kaum dass er die Wende verkündet. Den diplomatischen Kniefall vor Putin wird Erdogan noch häufiger machen müssen in seinem neuen politischen Überlebenskampf. Einen besseren Weg hat er nicht mehr. Zurück kann er nicht, da ist die Sackgasse. Es gilt zu retten, was noch zu retten ist. Es gilt, den türkischen Staatszerfall zu verhindern

In strategischer Hinsicht zeichnet sich folgender Deal ab: Die Türkei legt ihre Expansionspläne zu den Akten und konzentriert sich auf das eigene Staatsgebiet. Sie hilft bei der Beseitigung des IS und anderer Terrorgruppen in Syrien. Im Gegenzug helfen Russland und Israel, einen kurdischen Staat zu verhindern. Genau solche Deals werden in diplomatischen Hinterzimmern ausgehandelt und genau dafür hat sich Putin in den letzten beiden Jahren so häufig mit zahlreichen Staatsführern aus dem Nahen Osten getroffen, darunter auch mehrmals mit Israels Premier Netanjahu. Die USA werden diesen Deal torpedieren. Der Türkei stehen heiße Zeiten bevor.

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