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Andreas von Bülow: »Die Gefahr eines Krieges mit Russland wird immer größer«

Andreas von Bülow: »Die Gefahr eines Krieges mit Russland wird immer größer«
Andreas von Bülow, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Minister im Kabinett von Helmut Schmidt

Einst galt er als Jungstar der SPD. Andreas von Bülow war in den 70er-Jahren Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Im Kabinett von Helmut Schmidt führte er zu Beginn der 80er-Jahre das Ressort Forschung und Technologie. Als ehemaliges Mitglied der parlamentarischen Kontrollkommission für die Nachrichtendienste kennt er sich bestens mit den Geheimdiensten aus. Er beschäftigt sich aber auch intensiv mit den transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und den USA. Angela Merkel hält er für eine treue und bestens funktionierende Vasallin der Machtelite in Washington. Beim ersten großen Kopp-Kongress am 1. und 2. Oktober in Stuttgart wird Andreas von Bülow einen Vortrag über »Europa im Lügengespinst amerikanischer Machtpolitik« halten und damit ganz sicher für eines der Highlights des zweitägigen Kongresses sorgen. Vorab hat er Kopp-Online ein Interview gegeben.

Herr von Bülow, zwischen Europa und den USA beobachtet man eine wachsende Entfremdung: Streit um TTIP, Zoff um die Steuerforderungen gegen Apple. Überdies bleiben die Militärausgaben auf europäischer Seite hinter den NATO-Zusagen zurück. Und der Widerstand gegen die Russland-Sanktionen wächst. Wie ernst sind diese Meinungsverschiedenheiten?

Von Bülow: Die europäischen Regierungen maulen zwar von Zeit zu Zeit, folgen jedoch letztlich den Vorgaben Washingtons. Man beteiligt sich an den kindischen wie gefährlichen Militärspielereien an den Grenzen Russlands, obgleich man seinerzeit zugesagt hatte, keinen Zoll mit dem Bündnis weiter Richtung russische Grenzen vorzurücken.

TTIP würde Merkel am liebsten noch heute mit Obama abschließen, auch wenn Gabriel vor einem Scheitern warnt. Die Sanktionen werden zwar öffentlich infrage gestellt, aber dann noch am gleichen Tag klammheimlich verlängert. Bei den Militärausgaben beruhigt man die Amerikaner durch leichte Erhöhung der Ansätze. Die europäischen Pudel bellen, beißen tun sie aber nicht.

Die USA sehen Europa als westlichen Brückenkopf nach Eurasien, mit dessen Hilfe sie Einfluss auf der riesigen Landmasse ausüben können. Die EU scheint aber derzeit auseinanderzufallen. Wie sehr irritiert das Washington und wie stark bedroht das die amerikanische Geopolitik?

Von Bülow: Nein, für die amerikanische oder auch angelsächsische Geopolitik gibt es seit über 100 Jahren den Alptraum einer effektiven Zusammenarbeit zwischen Europa, insbesondere Deutschland und dem bis zum Pazifik reichenden Russland mit den anhängenden Regionen des Nahen Ostens und Afrikas.

Diese riesige Landkombination, ordentlich ausgebaut, könnte die Seemacht der Angelsachsen brechen. So die seit Langem in angelsächsischen Strategieköpfen gepflegte Hysterie. Also: Wenn Europa bei der Konfrontation gegen Russland mitmacht, ist es der Brückenkopf der amerikanischen Geopolitik. Ansonsten muss es daran gehindert werden mit Russland strukturell zu verwachsen.

Redaktion: Welche Auswirkungen hat der Brexit auf die US-Strategie?

Von Bülow: Den USA kommt einer der wichtigeren Joysticks zur Steuerung Europas abhanden. Durch Trödelei bei den Verhandlungen wird möglicherweise der Brexit hinterrücks rückgängig gemacht, wenn nicht Europa schon vorher auseinanderfällt.

Die USA setzen verstärkt die NATO als Vehikel für ihre Interessen ein, und weniger die EU. Was bedeutet das?

Von Bülow: Das war schon immer so. Die amerikanische Politik duldet keine eigenständige europäische Konkurrenz neben der von ihr beherrschten NATO.

Wie groß ist die Gefahr eines Krieges mit Russland?

Von Bülow: Die wird immer größer. Washington reizt Russland. 5 Milliarden Dollar für den Regierungswechsel in Kiew, Finanzierung des Maidan, US-inszenierter Putsch gegen den gewählten, abtrittsbereiten Präsidenten. Einsetzung einer die russische Bevölkerung im eigenen Land hassenden und drangsalierenden Regierung. Dazu Raketenstationierung in Polen und Rumänien angeblich gegen den Iran, in Wirklichkeit jedoch gegen Russland gerichtet. In Georgien ein ähnliches Spiel.

Die Vorwarnzeiten sind extrem knapp geworden, gerade auch für einen Nuklearkrieg. Den konventionellen Krieg können die westlichen Armeen mit ihren Spielsoldaten nicht gewinnen. Umso schneller kann die Konfrontation blitzschnell in die atomare Konfrontation umschlagen. Wir waren im alten Ost-West-Konflikt sicherer.

Welchen Unterschied wird es für die Europäer, besonders die Deutschen, machen, ob Hillary Clinton oder Donald Trump im November die Präsidentenwahl gewinnen?

Von Bülow: Das ist wie Pest und Cholera. Clinton wird als die Gallionsfigur der Großvermögen der 0,1 Prozent, der Banken- und Rüstungsindustrie die Politik fortwährender Kriege weiterführen. Amerikanische Bomberverbände und Drohnen aus der Luft, am Boden die Söldnertruppen der al Quaida – ISIS – al Nusra, Tunichtgute und Halsabschneider aus über 80 muslimischen Staaten, bewaffnet vom NATO-Partner Türkei, bezahlt von Qatar und Saudi-Arabien und ausgebildet nicht selten von den USA. Trump redet aus europäischer Sicht viel Unsinn, wie im Übrigen ein Großteil der politischen Elite, inklusive Obama und Clinton.

Einige Punkte Trumps finde ich erörterungswürdig. Er will mit Putin auskommen. Er will die völlig überzogene Zahl ausländischer Stützpunkte in über 140 Staaten reduzieren. Er bezweifelt die regierungsamtliche Verschwörungstheorie zum 11. September 2001. Er steht dem Treiben der CIA kritisch gegenüber. Er meint die Federal Reserve, die Selbsthilfeeinrichtung amerikanischer Großbanken, genauer unter die Lupe nehmen zu müssen. Er will in die Infrastruktur des Landes investieren, dafür die Militärausgaben kürzen. Und er nimmt den fortlaufenden Export amerikanischer Technik in Sklavenlohnländern auf die Hörner.

Diese Politik wird er gegen den organisierten Widerstand der den Kongress und die Thinktanks finanzierenden Lobby mit einiger Sicherheit nicht durchsetzen können.

Die beiden Kandidaten sind ein heilsamer Aufruf an die Europäer, endlich gemeinsam eine selbstständig durchdachte Außenpolitik zu betreiben, in Abstimmung mit den USA, aber auch Russland, China und Japan

Auf welche Aspekte wollen Sie bei Ihrem Vortrag im Oktober in Stuttgart besonderen Wert legen?

Von Bülow: Auf die schon historisch zu nennende Ausrichtung amerikanischer Politik an den Interessen der 0,1 Prozent in Wirtschaft, Finanz- und Rüstungsindustrie, bei steter Ausschaltung demokratischer Willensbildung durch Verbreitung wirksamer Lügen-»Narrative«.

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