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Manöver, Marschbefehle und Kriegsspiele – wie die NATO Russland provoziert

Manöver, Marschbefehle und Kriegsspiele – wie die NATO Russland provoziert

Manöver in Moldawien, in Skandinavien und im Baltikum, Schießübungen an der polnischen Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad, Truppenstationierungen in Osteuropa – die NATO fordert Russland heraus. Moskau will »Gegenmaßnahmen ergreifen«.

Für 2016 ist eine weitere Truppenübung in Moldawien geplant: Das »Dragon Pioneer«-Manöver 2016 soll von den Truppen des Landes zusammen mit dem US-Militär abgehalten werden, so Alla Diakonu, die offizielle Sprecherin des Verteidigungsministeriums in Moldawien.

Ziel des taktischen Manövers sei die Bildung von gemeinsamen Pioniereinheiten und die Förderung der Zusammenarbeit beider Armeen, so das moldawische Verteidigungsministerium laut Russia Today. Etwa 58 Einheiten der US-Armeetechnik sowie 40 Pioniergeräte und Versorgungswagen der moldawischen Streitkräfte sollen teilnehmen. Die Kolonnenfahrt der Schützenpanzer und anderer Wagen soll von Rumänien aus gestartet werden.

»An dem Manöver nehmen 198 Militärangehörige des 2. US-Kavallerieregiments, einer Einheit der 7. US-Armee USAREUR mit dem Hauptquartier im bayerischen Vilseck sowie 165 Militärs des Pionierbataillons, des 22. Friedenstifterbataillons und der 1., 2. und 3. Brigaden der moldawischen Streitkräfte teil«, sagte Diakonu. In Vilseck in der Oberpfalz ist eine komplette Brigade der US Army stationiert, das 2. US-Kavallerieregiment. Vilseck gehört zum Truppenübungsplatz Grafenwöhr, der eine Größe von 234 Quadratkilometern hat und aus zwei großen Lagern besteht: dem Ostlager in Grafenwöhr (Tower Barracks) sowie dem Südlager in Vilseck, das auch als »Rose Barracks« bezeichnet wird. Der Truppenübungsplatz wird vornehmlich für Schießübungen mit allen Waffensystemen der US-Streitkräfte genutzt.

Bereits vom 3. bis 19. März 2016 hatte in Moldawien die Militärübung »Agile Hunter 2016« stattgefunden. Daran waren, laut Russia Today, bis zu 130 Einheiten beteiligt. Die etwa 3,5 Millionen Einwohner zählende Republik Moldawien – oder auch »Moldau« genannt – liegt als Binnenstaat zwischen der Ukraine und Rumänien. Sie ist geopolitisch betrachtet der Durchgangsweg zwischen dem Ausläufer der Karpaten und dem Schwarzen Meer. Georgien, die Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien haben sich am 10. Oktober 1997 zu einer Sicherheitsallianz zusammengeschlossen, die ihren Namen aus den Anfangsbuchstaben der vier Staaten ableitet: »GUAM«. Langfristig streben die vier Staaten in die NATO.

Mehrere NATO- und US-Manöver hatten in den letzten Jahren in Skandinavien und auf dem Baltikum stattgefunden. Von russischer Seite werden diese offenbar als Drohgebärden wahrgenommen. Auch ein Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO steht im Raum – sehr zum Missfallen Moskaus. Aktuell Ärger gibt es wegen Schießübungen amerikanischer Jagdflugzeuge auf polnischem Territorium. Von den USA nach Polen entsandte A-10 Thunderbold II führen Übungen in der Nähe der russischen Grenze durch. Außerdem werden noch 10 000 NATO-Soldaten für dieses Jahr in Polen erwartet.

Eine weitere Provokation kommt – wie so oft – vom NATO-Generalsekretär. In einem Interview mit der Zeitung Die Welt sagte Jens Stoltenberg, die NATO müsse mit »Stärke und glaubwürdiger Abschreckung« auf Russland reagieren. »Wir werden darum die NATO-Präsenz im östlichen Bündnisgebiet erhöhen.

Die NATO-Militärführung hat jetzt empfohlen, in die drei baltischen Staaten und nach Polen jeweils ein Bataillon zu entsenden, das rotiert. Es handelt sich dabei um multinationale Truppen, um klar zu machen, dass ein Angriff gegen einen Verbündeten ein Angriff auf die gesamte NATO ist«, sagte Stoltenberg weiter.

Die Pläne für eine solche »vorgelagerte Präsenz« würden jetzt auf politischer Ebene beraten und dann bis zum NATO-Gipfeltreffen im Juli in Warschau entschieden. Die Bataillone sollen nach den Plänen der NATO permanent präsent sein, allerdings sollen die multinationalen Truppen rotieren, also immer wieder mit anderen Soldaten besetzt werden.

Laut NATO-Chef stehen die Pläne in Einklang mit den Grundsatzvereinbarungen über eine Zusammenarbeit zwischen der Allianz und Russland. »Die Pläne der Allianz verstoßen eindeutig nicht gegen die NATO-Russland-Grundakte. Was wir jetzt im Baltikum und in Polen machen, ist ja keine Verstärkung um substanzielle Kampftruppen«, sagte Stoltenberg. Nur das wäre eine Verletzung der Grundakte.

Auch schon im Sommer 2015 wurde kräftig mit dem Säbel gerasselt: US-Atombomber flogen Einsätze an der russischen Grenze. Die B-52 von der Minot Air Force Base in North Dakota – »Big Ugly Fat Fucker« genannt und mit 20 Marschflugkörpern der atomaren Art bestückt – nahmen an einer der Übungen der NATO unweit der russischen Grenze teil. Das Pentagon verlegte Panzer nach Osteuropa und begann, schweres Kriegsgerät für bis zu 5000 Soldaten in mehreren osteuropäischen und baltischen Ländern einzulagern. Dazu zählen Kampfpanzer und Infanterie-Kampffahrzeuge, berichtete damals die New York Times (NYT) unter Berufung auf US-Beamte und NATO-Vertreter.

Bis Ende 2015 verlegten die USA eine militärische Brigade mit rund 1000 Kampfpanzern, Schützenpanzern, anderen Kampffahrzeugen, Artilleriesystemen und 5000 Mann nach Mittel- und Osteuropa. Bei den Kampffahrzeugen soll es sich vor allem um Kampfpanzer des Typs M1A2 Abrams und Schützenpanzer des Typs M2 Bradley handeln. Zu den Artilleriesystemen, die vor allem bei der Bekämpfung von Bodentruppen eingesetzt werden, gibt es keine genaueren Angaben.

Moskau spricht von Provokation

Wiederholt haben in den letzten Tagen der russische Präsident Putin, Außenminister Lawrow und Verteidigungsminister Schoigu von einer Provokation gegenüber Russland gesprochen. Schon vor zwei Jahren, am 23. Mai 2014, hat Generalstabschef Waleri Gerassimow angekündigt, Russland werde Gegenmaßnahmen gegen die Verstärkung der NATO-Streitkräfte in der Nähe der russischen Grenzen ergreifen. Wie die Nachrichtenagentur RIA Novosti damals meldete, habe Russlands oberster General eine »Zuspitzung der militärpolitischen Situation in Europa« festgestellt. Einzelne westliche Staaten hätten die antirussische militärische Rhetorik verhärtet.

»Aufgestockt werden die Gruppierungen der vereinten NATO-Streitkräfte auf dem Baltikum, in Polen und Rumänien sowie die militärische Präsenz des Blocks in der Ostsee, im Schwarzen Meer und im Mittelmeer. Die operative und Gefechtsausbildung der Allianz-Truppen in der Nähe der russischen Grenzen wird immer intensiver. Unter diesen Bedingungen können wir nicht gleichgültig bleiben. Wir müssen Gegenmaßnahmen ergreifen«, sagte Gerassimow bei einer internationalen Sicherheitskonferenz in Moskau.

Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu spricht laut RIA Novosti von beispiellosen zunehmenden Aktivitäten der Streitkräfte der USA und der NATO in Osteuropa vor der russischen Grenze.

Ein erschreckendes Kriegsszenario

Eine ungewöhnliche Experten-Simulation hat das US-Onlinemedium Vox Ende Juni 2015 erstellt: Ein mögliches Kriegsszenario zwischen Russland und der NATO. Ausgangspunkt der Simulation waren Proteste in der estnischen Grenzstadt Narva, deren Einwohner zu einem hohen Prozentsatz Russen sind. Als Begründung dafür schrieb Vox: Wenn westliche Politologen und Beobachter die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen den USA und Russland besprechen, gehe es meistens um das Baltikum. Vox verweist auch auf Stephen Saideman von der Carleton University (Kanada), der der Ansicht ist, dass der Mittelpunkt fast jeder potenziellen Weltkrise ein kleines Land sein würde. Die Politologen Graham Allison und Dmitri Simes bezeichneten in einem Essay für die Zeitschrift The National Interest das Baltikum als die Achillesferse der NATO.

Dass die Wahl der Experten auf Estland fiel, hängt damit zusammen, dass ein Viertel der Einwohner dieses Landes ethnische Russen sind. Es ist auch deswegen erste Expertenwahl, weil Estland im Unterschied zur Ukraine NATO-Mitglied ist. Ein russischer Angriff würde nach Artikel 5 des NATO-Statuts die USA und die meisten europäischen Länder dazu zwingen, Moskau den Krieg zu erklären.

In dem Vox-Bericht heißt es, dass im Baltikum noch nie dagewesene militärische Aktivitäten seit der Zeit des Kalten Krieges zu beobachten sind. »Das ist ein klassisches Beispiel dafür, was Politologen ein Sicherheitsdilemma nennen – jede Seite betrachtet ihr Vorgehen als Verteidigungsmaßnahme. Die Aktivitäten des Gegners werden als Offensivmaßnahmen gedeutet. Beide Seiten antworten auf angebliche Provokationen mit einer größeren Eskalation«, wird erklärt. Damit entsteht ein Konfliktsystem, in dem mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ein Krieg entstehen kann, wie das beim Ersten Weltkrieg der Fall war.

Das Szenario beginnt – wie eingangs erwähnt – mit Protesten der russischen Bevölkerung in der estnischen Grenzstadt Narva. Der erste Zug wird von der NATO gemacht, die Allianz hat zwei Varianten – ein diplomatischer Aufruf zur Ruhe oder die sofortige Entsendung eines Militärkontingents wegen der Befürchtungen eines »russischen Eingriffs«. Dann hängt alles von den Handlungen Moskaus ab – falls Russland Truppen losschickt, ist sowohl ein zufälliger als auch ein beabsichtigter Zusammenstoß der beiden Armeen nicht ausgeschlossen.

In diesem Fall beginnt ein offener Krieg zwischen Russland und der NATO in Estland.

Falls der Konflikt in Narva auf Eis gelegt wird und das Konfliktgebiet zu einer umstrittenen Provinz mit engen Verbindungen zu Russland wird, wird die Unfähigkeit der NATO, den Prinzipien der kollektiven Verteidigung zu entsprechen, offensichtlich. Russland würde durch ein solches Szenario an Einfluss in Osteuropa gewinnen.

Falls es zu einem direkten Atomkrieg käme, gäbe es vier Szenarios. Jedes von ihnen führte zum Tod von Millionen Menschen und dem Sieg einer Seite. Dem schlimmsten Szenario zufolge wird nach einer Konfrontation zwischen Russland und der NATO »der nukleare Winter« beginnen.

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