Hintergründe

Wer hat in Syrien Giftgas eingesetzt? – Analyse von Daniele Ganser

Wer hat in Syrien Giftgas eingesetzt? – Analyse von Daniele Ganser
Syriens legitimer und demokratisch gewählter Präsident Baschar al-Assad

Auch im Krieg gibt es Gesetze und Regeln. Die Verwendung von Giftgas und vergifteten Waffen ist in allen Kriegen weltweit streng verboten. Der Einsatz von Giftgas wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu Recht als schwerer Verstoss gegen das Völkerrecht und Kriegsverbrechen eingestuft.

von Daniele Ganser

In Syrien ist es in Khan Scheikhun am 4. April 2017 zu einem Giftgasangriff gekommen der mehr als 70 Todesopfer forderte. Doch wer dahintersteckt, ist bisher völlig unklar. Waren es die Gegner von Assad? Akteure aus dem Ausland? Oder das syrische Militär? Weil viele Fragen offen sind, wäre Zurückhaltung und Vorsicht in der Analyse geboten. Doch die Massenmedien in Deutschland und der Schweiz tun das Gegenteil.

Wer hat in Syrien Giftgas eingesetzt? – Analyse von Daniele Ganser
„Trump rächt Syriens vergaste Kinder“ – Schlagzeile der BILD vom 8. April 2017

Blick und Bild trommeln für den Krieg

Blick und Bild haben den Giftgasangriff ohne Beweise sofort Präsident Baschar al-Assad angelastet, und damit die Bombardierung von Syrien durch US-Präsident Donald Trump vermeintlich gerechtfertigt.

In der Schweiz titelte die Gratiszeitung Blick am Abend am 7. April:

„Trumps Antwort auf die toten Kinder … Er rächt Assads Giftgas-Angriff auf unschuldige Zivilisten.“ Ganz ähnlich lautete die Bild Schlagzeile in Deutschland am 8. April: „Trump rächt Syriens vergaste Kinder“. Bild druckte auf der Titelseite amerikanische Raketen gemeinsam mit einem syrischen Kind mit Sauerstoffmaske ab. Kommentar: „Nach Assads Giftgas-Angriff vom Dienstag: Ein Kleinkind wird mit Sauerstoff versorgt“.

Tonkin-Lüge

Die Journalisten von Bild und Blick müssten wissen, dass List, Lüge und Täuschung immer zum Krieg gehören. Wenn sie Lügen ungeprüft an die Massen weiterreichen, treiben sie die Gewaltspirale an. Historikern wie mir sind viele Fälle bekannt, wo Kriegslügen grosses Leid erzeugt haben.

Am 4. August 1964 hatte US Präsident Lyndon Johnson am Fernsehen behauptet, dass das amerikanische Kriegsschiff Maddox im Golf von Tonkin mit Torpedos von Vietnam angegriffen worden war. Heute wissen wir, das war eine Lüge. Die Maddox wurde nie von Torpedos getroffen. Johnson hatte damals wörtlich gesagt, „wiederholte feindliche Handlungen gegen amerikanische Schiffe im Golf von Tonkin haben mich heute gezwungen, das Militär der USA anzuweisen, zu reagieren … es braucht Härte, um den Frieden zu sichern.“ Johnson eskalierte damit den Vietnamkrieg, der erst 1975 endete.

Die Tonkin-Lüge hatte fatale Folgen: Rund drei Millionen Vietnamesen wurden im Vietnamkrieg getötet, viele davon Kinder. Die USA verloren 58.000 amerikanische Soldaten, mehr als in jedem anderen Krieg. Zudem setzten die USA das chemische Entlaubungsmittel Agent Orange ein. Dies hat bei ungeborenen Kindern im Mutterleib zu schweren Missbildungen geführt. Gemäss Schätzungen des Roten Kreuzes litten 2002 in Vietnam rund eine Million Vietnamesen an den Spätfolgen von Agent Orange, darunter etwa 100.000 Kinder mit Fehlbildungen. Wenn daher nun im Kontext von Syrien mit dem Verweis auf Kinder für den Krieg geworben wird, ist dies äusserst zynisch.

Trump und die schönen Kinder

Präsident Trump begründete seinen Angriff auf Syrien mit dem Verweis auf das Giftgas. Assad habe

„einen schrecklichen Chemiewaffenangriff auf unschuldige Zivilisten verübt … Sogar wunderschöne Babys wurden brutal ermordet bei dieser sehr barbarischen Attacke. Kein Kind Gottes sollte jemals so einen Horror erleben … Wir beten für das Leben der Verwundeten und für die Seelen der Verstorbenen. Und wir hoffen, dass, solange Amerika für Gerechtigkeit steht, sich am Ende Frieden und Harmonie durchsetzen werden.“

Ob jedoch die USA für Gerechtigkeit stehen, wird von immer mehr Menschen hinterfragt. Bekannt ist inzwischen, dass die USA die Gegner von Assad bewaffnen und trainieren. Dies ist ganz klar illegal. Vorsicht ist geboten. Gerade dann, wenn mit dem Verweis auf tote Kinder die Emotionen der Massen geschürt werden. Schon im Golfkrieg 1990 wurde mit der Brutkastenlüge die Bevölkerung gezielt schockiert.

Die Brutkastenlüge

Am 10. Oktober 1990 erzählte ein 15-jähriges Mädchen, das als Nayirah vorgestellt worden war, vor dem Menschenrechtsausschuss des US-Kongresses unter Tränen, dass sie während der Invasion von Kuwait durch Irak in einem Spital in Kuwait gearbeitet und beobachtet habe, wie irakische Soldaten Säuglinge aus den Brutkästen genommen hätten, um sie auf den Boden zu werfen, wo sie dann starben. Das war gelogen. Aber Präsident Bush Senior griff diese brutale Geschichte auf, wiederholte sie in zahlreichen Reden und behauptete, 312 Neugeborene seien auf diese Art gestorben.

Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, dass die Brutkastengeschichte eine infame Lüge war und dass Nayirah nie im Spital in Kuwait gearbeitet hatte, sondern Nijirah al-Sabah hieß und die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war. Die Bush-Administration und das Königshaus von Kuwait hatten die Öffentlichkeit getäuscht.

Keine Empathie mit den Kindern im Irak

Nach dem Sieg über den Irak im Krieg 1991 verhängten die USA ein Wirtschaftsembargo über das Land, welches vielen Irakern das Leben kostete, darunter auch Kindern.

„Wir haben gehört, dass nun eine halbe Million Kinder gestorben sind“, sorgte sich die amerikanische Fernsehjournalistin Lesley Stahl 1996 über die fatalen Folgen des amerikanischen Embargos für die Zivilisten im Irak. Die Journalistin befragte vor laufender Kamera Madeleine Albright, die seit 1993 als amerikanische UNO-Botschafterin der Administration Clinton amtierte, ob das Embargo noch gerechtfertigt sei:

„Ich meine, das sind mehr Kinder als die, welche in Hiroshima verstarben, ist es diesen Preis wert?“

UNO-Botschafterin Albright überlegte einen Moment lang, dann sagte sie kalt:

„Ich glaube, das ist eine sehr schwierige Entscheidung, aber der Preis – wir glauben, es ist diesen Preis wert.“

Daraus geht klar hervor: Das US-Imperium hat nie Empathie mit toten Kindern im Nahen Osten gehabt. Wenn nun im Kontext des Syrienkrieges die Bilder von toten Kindern herumgereicht werden, ist das aus historischer Perspektive völlig empathielos.

Giftgasangriff in Khan al Assal am 19. März 2013

Der syrische Bürgerkrieg ist ein dreckiger Krieg. Die USA, Frankreich, Grossbritannien, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei versuchen, Assad zu stürzen, und bewaffnen und trainieren Rebellen und Terroristen. Russland, Iran und China versuchen das zu verhindern,wollen Assad an der Macht halten und verstärken die Schlagkraft des syrischen Militärs. Wer in diesem Durcheinander wo und wann Giftgas eingesetzt hat, wird immer schwieriger zu durchschauen.

Der erste Einsatz von Giftgas ereignete sich am 19. März 2013 in Khan al-Assal nahe Aleppo. Sofort zirkulierte durch die Medien die Behauptung, die syrische Regierung von Präsident Assad sei für den Einsatz verantwortlich gewesen. Doch das stimmte nicht:

„Wir haben Zeugenaussagen von Ärzten, Flüchtlingen in benachbarten Ländern und Spitalmitarbeitern, dass chemische Waffen verwendet wurden – nicht von der Regierung, aber von der Opposition“, erklärte die Schweizerin Carla del Ponte, die frühere Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien.

Auch der Schweizer Arzt Franco Cavalli bestätigte:

„Der einzige gesicherte Fall von Giftgaseinsatz in Syrien (Aleppo) wurde eindeutig den Dschihadisten zugeschrieben.“

Die Rebellen hatten scheinbar im Rahmen einer False Flag-Operation das Kriegsverbrechen der Regierungsarmee in die Schuhe geschoben, um Assad zu diskreditieren. Doch dies schlug fehl. „Für den ersten Chemiewaffeneinsatz in Khan al-Assal nahe Aleppo, bei dem 29 Menschen ums Leben kamen, waren die Dschihadisten unter den Aufständischen verantwortlich“, bestätigte auch der gut informierte Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Giftgasangriff in Ghuta am 21. August 2013

Der UNO-Sicherheitsrat nahm sich der Angelegenheit an und entschied, Experten nach Syrien zu schicken, um den Giftgasangriff von Khan al Assal zu untersuchen. Hätte diese Arbeit durchgeführt werden können, wäre die False Flag-Operation vermutlich aufgeflogen. Die UN-Chemiewaffen-Inspektoren kamen am 19. August 2013 in Damaskus an, doch noch bevor sie ihre Arbeit aufnehmen konnten, kam es am 21. August 2013 in Ghuta bei Damaskus zu einem zweiten und noch viel größeren Giftgasanschlag, der zwischen 300 und 1.500 Todesopfer forderte.

Das US-Imperium machte sofort Assad für das Verbrechen verantwortlich. „Wir sind bereit, zuzuschlagen, wann immer wir wollen“, erklärte Präsident Barack Obama am Fernsehen. „Welche Botschaft senden wir, wenn ein Diktator Hunderte von Kindern vergasen kann und keine Strafe erhält?“

Ob Assad oder die von den USA, der Türkei und Saudi-Arabien unterstützen Rebellen für den Ghuta-Anschlag verantwortlich waren, war damals völlig unklar. Der amerikanische Investigativjournalist Seymour Hersh stellte klug die Gretchenfrage: „Wessen Sarin?“, und zeigte auf, dass Dschihadisten hinter dem Anschlag standen.

Schon im Mai 2013 „hatte die CIA die Obama-Administration darüber informiert, dass al-Nusra mit Sarin arbeitet, und auch alarmierende Berichte verfasst, dass eine weitere radikale sunnitische Gruppe im Syrienkrieg, die al-Qaida im Irak (AQI), ebenso wusste, wie man Sarin produziert“, enthüllte Hersh.

Das waren brisante Nachrichten. „Denn al-Nusra ist dafür bekannt, dass sie unzählige Selbstmordanschläge gegen Christen und nichtsunnitische Muslime“ in Syrien ausgeführt haben. Al-Nusra wolle in Syrien Assad stürzen und die Scharia einführen.

David Shedd vom amerikanischen Geheimdienst Defence Intelligence Agency (DIA) war im Juni 2013 darüber informiert worden, dass „al-Nusra die Fähigkeit hatte, Sarin zu beschaffen und einzusetzen“, der israelische Geheimdienst konnte sogar eine Probe des verwendeten Sarin liefern, fand Hersh heraus. Doch Präsident Obama „ignorierte die Daten zu al-Nusra und deren Fähigkeit, Sarin einzusetzen, und behauptete weiterhin, nur die Assad-Regierung verfüge über Chemiewaffen“, erklärt Hersh.

Die Rolle der Türkei beim Ghuta-Anschlag 2013

Mutige türkische Abgeordnete des Nationalparlaments griffen die Resultate von Hersh auf, gingen der Giftgasaffäre nach und fanden heraus, dass Dokumente und Material aus einer staatsanwaltlichen Untersuchung in Adana gegen einen mit Sarin aufgegriffenen Händler bestätigten, dass nicht Assad sondern seine von den NATO-Ländern unterstützten Gegner das Giftgas eingesetzt hatten.

„Wir haben Telefonaufzeichnungen die zeigen: ISIS erhielt das notwendige Material, um tödliches Saringas zu produzieren aus der Türkei“, enthüllte der türkische Parlamentarier Eren Erdem von der Partei CHP im Oktober 2015. „Der Westen ist heuchlerisch, was die ganze Affäre betrifft“, erkannte Erdem.

Man wolle diesen chemischen Terroranschlag nicht klären, weil eben nicht Assad, sondern die von den USA und der Türkei unterstützen Gegner von Assad für den Anschlag in Ghuta verantwortlich seien.

Der türkische Präsident Erdogan wollte das nicht hören und ließ den Abgeordneten Erdem wegen Hochverrats anklagen. „Ich erhalte Todesdrohungen“, berichtete Erdem. „Aber ich bin als Patriot gegen diese Sache (mit dem Giftgas), weil das den Ruf meines Landes ruiniert.“ Er habe ein Dossier „mit all den Details, wie das Sarin in der Türkei produziert und an die Terroristen geliefert wurde.“

Michael Lüders bei Markus Lanz

Nach dem Anschlag in Khan Scheikhun wurde der Giftgaseinsatz von Ghuta in den Medien nochmals aktuell. Doch obschon die Fakten darauf hindeuten, dass damals eben nicht Assad, sondern die von der NATO unterstützten Rebellen verantwortlich waren, schob die Süddeutsche Zeitung die Schuld erneut Assad in die Schuhe.

Unter dem Titel «Das Gift, die Lügen und die Schuld» erklärte die Zeitung am 5. April 2017 ihren verwirrten Lesern: „Einheiten der syrischen Armee hatten im August 2013 bei Angriffen auf Vorstädte von Damaskus mit Sarin mehr als 1400 Menschen getötet.“

Eine präzisere Analyse präsentierte der Nahostexperte Michael Lüders im ZDF in der Talkshow von Markus Lanz am 5. April 2017. Lüders führte aus, dass schon 2013 beim Giftgasangriff in Ghuta Gas verwendet worden sei, das der türkische Geheimdienst an die Nusra-Front, den Al-Kaida-Ableger in Syrien, geliefert habe. Lüders sagte:

“Mittlerweile wissen wir, dass es mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit nicht das Regime war, das für diesen Giftgasangriff verantwortlich war.”

Wem nützt es?

Um List und Kriegslügen zu durchleuchten müssen Forscher und wache Medienkonsumenten sich stets fragen: Wem nützt das? Diese Kernfrage formulierte Prof. Günter Meyer am 6. April auf WDR5 im Morgenradio als die Journalistin mit ihm über den Giftgasanschlag in Khan Scheikhun sprach.

Meyer gab gleich selbst die Antwort:

„Eindeutig nicht dem Regime“. Denn Assad sei „auf allen Fronten auf dem Vormarsch. Die Rebellen erleiden überall Niederlagen und sind vor der Vernichtung. In dieser Situation ist das der letzte verzweifelte Versuch der Dschihadisten, das Blatt zu wenden.“

Gut möglich, so Meyer, dass es sich um einen Angriff unter Falscher Flagge durch die Rebellen gehandelt habe, um die USA zum Eingreifen zu bewegen.

Auflage der Zeitungen bricht ein

Wir befinden uns heute in der Medienrevolution. Immer mehr Menschen recherchieren im Internet und machen sich selber ein Bild von der Welt. Boulevardzeitungen wie Blick und Bild schüren mit Schlagzeilen wie „Trump rächt Syriens vergaste Kinder“ die Emotionen der Massen.

Aber die Auflage bricht ein. Bild vom Axel-Springer-Verlag ist zwar noch immer die auflagenstärkste Zeitung in Deutschland, aber sie befindet sich im klaren Abwärtstrend. Verständlicherweise wollen immer weniger Menschen sie lesen. Die verkaufte Auflage betrug im Jahr 2000 noch über vier Millionen Zeitungen. 2010 war die Auflage bereits auf unter drei Millionen gesunken. Und derzeit wollen nur noch 1,6 Millionen Menschen für das Produkt etwas bezahlen.

Auch bei der Schweizer Boulevardzeitung Blick vom Ringier-Verlag zeigt der Trend klar noch unten. Zuerst gab es Blick nur gegen Bezahlung und die Auflage betrug über 300.000 Exemplare. Doch die bezahlte Zeitung ist inzwischen auf 150.000 Zeitungen eingebrochen. Nur weil das Produkt Blick am Abend, auch aus dem Ringier-Verlag, gratis abgegeben wird, hat es noch eine Auflage von 280.000 Stuck.

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