Deutschland

Verschlußsache Schulprivatisierung: Schulen sollen für private Investoren geöffnet werden

Verschlußsache Schulprivatisierung: Schulen sollen für private Investoren geöffnet werden

Am 1. Juni 2017 sollen im Bundestag die Voraussetzungen für eine der größten und wahrscheinlich folgenreichsten Privatisierungen der deutschen Geschichte geschaffen werden. Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit will man nicht weniger als 13 Grundgesetzänderungen beschließen.

Von Ulrike von Wiesenau

Am 1. Juni 2017 will man im Bundestag insgesamt 13 Grundgesetzänderungen beschließen. Die Änderungen betreffen zum einen die Regelungen zur umstrittenen Infrastrukturgesellschaft, die künftig für die Planung, den Bau und Betrieb der deutschen Autobahnen zuständig sein soll und mit der der bisher bei den Ländern liegende Besitz an den Autobahnen in einer privatrechtlich verfassten Gesellschaft unter Regie des Bundes zentralisiert wird. So sollen unter der Großen Koalition die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, dass von der Infrastrukturgesellschaft künftig Betriebs- und Nutzungsrechte an den deutschen Autobahnen an private Finanzinvestoren übertragen werden können.

Doch es geht bei den umfangreichen Grundgesetzänderungen auch um Privatisierungen im Bereich der Bildungsinfrastruktur. Für den Bau und die Sanierung von Schulgebäuden mit privaten Investoren in Form einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP) sollen im Rahmen des geplanten Gesetzespakets ebenfalls die Voraussetzungen geschaffen werden. Die durch die Gesetzesänderungen in ihren Befugnissen beeinträchtigten Länder, die anfangs gegen eine Zentralisierung der Autobahnverwaltung votierten, haben ihren Widerstand mit der Zusage des Bundes, ihnen jährliche Finanztransfers in Milliardenhöhe zu gewähren, aufgegeben.

Dieser „Kuhhandel mit dem Grundgesetz“ hat den Weg frei gemacht für ein gigantisches Privatisierungsvorhaben, das den bislang massivsten Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland darstellt. Dem weltweit vagabundierenden Kapital eröffnen sich dadurch neue hochprofitable und sichere Anlagemöglichkeiten zu ihrem Nutzen.

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Schulbau unter ÖPP-Regie

Bildungsfragen sind bislang in weiten Bereichen Ländersache. Dieser Grundsatz soll nun in Frage gestellt werden, indem das sogenannte Kooperationsverbot gelockert wird. Mit der Einfügung des Artikel 104c ins Grundgesetz würde der Bund den Gemeinden Finanzhilfen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur leisten dürfen. Mit dem Begleitgesetz zur Grundgesetzänderung werden 3,5 Milliarden Euro für solche Finanzhilfen bereitgestellt. Der Verdacht drängt sich auf, dass die Bundesregierung hier versucht, die Misere im Bildungswesen zu nutzen, um privaten Investoren Zugang zu Fördergeldern des Bundes zu verschaffen.

In den Gesetzentwürfen werden ÖPPs im Schulbau dann auch explizit als förderfähig aufgeführt. Bildungspolitiker, die feiern, dass bald 3,5 Milliarden Euro an finanzschwache Kommunen gehen, verschweigen, dass die Schulen damit Gefahr laufen, zum Anlageobjekt von Konzernen zu werden. Die personell ausgedünnten Bauämter in den Kommunen werden demnächst Gelder in Aussicht haben, die möglichst schnell abgerufen werden müssen. Da Kapazitäten in den kaputtgesparten Ämtern fehlen, ist das Einfallstor für private Investoren abzusehen: Überall sollen „Infrastrukturgesellschaften“ gegründet werden und die Schulen nach und nach unter ÖPP-Regie fallen.

ÖPP ist keine Win-Win-Konstellation

Eine öffentlich-private Partnerschaft, also eine Partnerschaft zwischen der öffentlichen und der privatwirtschaftlichen Seite, hört sich zunächst nach einem Verhältnis zu beiderseitigem Vorteil an. „ÖPP“ lautet denn auch seit Jahren die Zauberformel in vielen Kommunen und beim Bund, obwohl sich das Geschäftsmodell längst diskreditiert hat. Denn der Kern von ÖPP sind privatrechtliche Geheimverträge mit Gewinngarantien, die von internationalen Kanzleien entworfen werden und geheime Schiedsgerichte, die die parlamentarische Kontrolle durch ihre Paralleljustiz unterwandern. Der Bund bleibt bei den Teilprivatisierungs-Verträgen zwar formal Eigentümer der Schulen und Autobahnen, hat aber de facto nichts mehr zu sagen. Der Bundesrechnungshof hat das als „funktionale Privatisierung“ bezeichnet. Von einer Partnerschaft auf Augenhöhe kann hier nicht die Rede sein, es handelt sich vielmehr um eine institutionalisierte Form, Gewinne zu privatisieren und Verluste der Allgemeinheit aufzubürden.

Die immer wieder vorgebrachte Behauptung, die Privaten seien effizienter, haben die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder inzwischen ebenfalls widerlegt, indem sie 18 ÖPP-Projekte untersucht haben. In 80 Prozent der Fälle fehlte der schlüssige Nachweis des von privaten Beratern behaupteten Effizienzvorteils, die ÖPP-Projekte waren sogar deutlich teurer als in öffentlicher Durchführung.

Inzwischen häufen sich die Fälle, die den Irrweg der Privatisierungen im Schulbetrieb belegen. Die Stadt Witten verzichtete unter anderem wegen auffälliger Ungereimtheiten im Zusammenhang mit zwei ÖPP-Schulen auf eine ÖPP-Sanierung ihres Rathauses. Im Landkreis Offenbach wurden 90 Schulen per ÖPP vergeben. Jetzt müssen die Kommunen Kredite aufnehmen, um die laufenden Kosten zu decken.

Die Ursache für den Sanierungsstau im Bereich der kommunalen Infrastrutur ist die Unterfinanzierung der Kommunen. Der Bund stellt nun den Kommunen Geld zur Sanierung von Schulen in Aussicht, mit der Empfehlung, auf die ÖPPs zurückzugreifen. Nun schließt das Begleitgesetz zwar nicht aus, Schulen mit einer rein staatlichen Finanzierung instand zu setzen, aber die Kommunen verstoßen damit häufig gegen die Vorgaben der „Schuldenbremse“, die für ÖPP-Projekte bezeichnenderweise keine Gültigkeit hat. Der Bundesrechnungshof erklärt am Beispiel der Verkehrsinfrastruktur: „Die Kredite der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft (…) werden bei der Berechnung der zulässigen Neuverschuldung nicht berücksichtigt.“ In der Endabrechnung kommen ÖPP-Projekte aber dem Staat und damit den Bürgerinnen und Bürgern viel teurer zu stehen als dies bei einer rein staatlichen Finanzierung der Fall wäre.

Gravierende Auswirkungen von ÖPP im Schulbereich

Was ÖPP im Schulbau für die betroffenen Schulen konkret bedeutet ist bisher in der Öffentlichkeit noch kaum realisiert worden, obwohl die Auswirkungen gravierend sind. Über die privatrechtlichen ÖPP-Verträge bekommen die Investoren weitreichenden Einfluss auf den Schulbereich. Die Schule gehört zwar formell weiter dem Staat, aber das Hausrecht über die Schulräume läge künftig bei den Investoren. Sie bestimmen dann auch darüber, wie die Schulen nach dem Unterricht, am Wochenende oder in den Ferien genutzt werden. Selbst die Lehrer-Parkplätze könnten künftig bewirtschaftet werden. Auch die Schulausrüstung, die technische Ausstattung, das Schulessen oder die Reinigung wird von ihnen festgelegt werden. Die Instandhaltung und Reparatur folgt ihren Maßgaben.

Wenn Schulen zum Anlageobjekt werden, ist damit zu rechnen, dass sie auf Finanzmärkten gehandelt werden. Betreiberfirmen wie Hochtief oder Bilfinger verkauften bereits zahlreiche deutsche Schul-ÖPPs an Investmentfonds. Die Renditen der Fonds speisen sich damit aus Steuergeldern, die ursprünglich dem Schulbau gewidmet waren. Nach 30 Jahren Vertragslaufzeit findet in der Regel die Rückübergabe statt. Es ist absehbar, in welchem Zustand die Gebäude und das Inventar sein werden, wenn das Gebot der Gewinnmaximierung den Betrieb dominiert.

Zu den bildungspolitischen Auswirkungen zählt, dass der demokratische Einfluss auf die Gestaltung des Schulwesens reduziert wird, weil die privaten Betreiber über ihre Vertragsgestaltung keinen Einfluss zulassen. Die kommunalen Parlamente haben keinen Einblick in die Gestaltung der Verträge und werden nur noch reduziert entscheidungsbefugt sein. Denn wesentliche Entscheidungsbefugnisse gehen von gewählten Regierungen in Bund, Ländern und Kommunen an private Träger über. Das Privatrecht verhindert Transparenz und eine wirksame öffentliche Kontrolle. Es liegt auf der Hand, dass auch die Qualität der Bildung auf Dauer von der Privatisierung betroffen sein wird.

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Seit Monaten werden Vertreter der Großen Koalition nicht müde zu behaupten, dass niemand vor hätte, Autobahnen und Schulen zu privatisieren und der Bund Eigentümer bleibe. Das ist eine massive Täuschung der Öffentlichkeit. Denn sobald eine privatrechtliche Infrastrukturgesellschaft gebildet wird, ist es formal nicht möglich, Privatisierungen auszuschließen. Die Entscheidungen werden dann nicht mehr im Bundestag, sondern im Vorstand der Gesellschaft gefällt. Auch der Bundesrechnungshof hat die Gesetzesänderungen als Privatisierung durch die Hintertür bezeichnet. Der Tatbestand, dass Schulen und Autobahnen bei einer funktionalen Privatisierung formal im öffentlichen Eigentum bleiben, schließt die zahlreichen Privatisierungsmöglichkeiten nicht aus, weder Öffentlich-Private Partnerschaften noch stille Beteiligungen oder andere eigenkapitalähnliche Anlageformen.

Die Bundesregierung stützt ihr Vorhaben auf das Gutachten der „Fratzscher-Kommission“, in der den Vertretern des privaten Banksektors ein unangemessen hohes Gewicht eingeräumt wurde. Die Gewerkschaften lehnten das Ergebnis der Kommission ab. Dass die Bundesregierung für eine solche Privatisierung im Sinne neoliberaler Ideologen und Lobbyisten das Grundgesetz ändern will, trifft die Gesellschaft im Innersten. Die immer weitere Entmachtung der Parlamente durch Geheimverträge, die Transformation öffentlicher Aufgaben in private, die dann der öffentlichen Kontrolle entzogen sind, sowie die Paralleljustiz der geheimen Schiedsgerichte höhlen die Demokratie aus.

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