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Tod nach Scharia: Wie Merkels Verbündeter Saudi-Arabien Hexer, Schwule und Alkoholiker bestraft

Tod nach Scharia: Wie Merkels Verbündeter Saudi-Arabien Hexer, Schwule und Alkoholiker bestraft

In Saudi-Arabien wird häufig hingerichtet. Der außereheliche sexuelle Kontakt, Atheismus, die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion, Homosexualität, Hexerei, Glücksspiele — das ist eine unvollständige Liste der Verbrechen, für die man im wahhabitischen Königreich 1000 Peitschenhiebe, zehn Jahre Haft bekommen oder enthauptet werden kann.

Saudisches Recht

Das ist vollkommen nachvollzierbar: Saudi-Arabien ist eine absolute theokratische Monarchie, in der das ganze Justizsystem auf einem religiösen Fundament aufgebaut ist. Die vorherrschende Religion ist der Islam, die vorherrschende Konfession ist der Sunnismus, die vorherrschende religiöse Strömung ist der Wahhabismus. Deshalb gelten in Saudi-Arabien, wie auch im „Islamischen Staat“, gegen den das Königreich offiziell kämpft, Scharia-Gesetze.

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Es ist nicht verwunderlich, dass das saudi-arabische Gerichtssystem sich vom westlichen deutlich unterscheidet: Für eine Anschuldigung oder Rechtfertigung reicht oft lediglich nur ein Eid aus, ein Anwalt gilt nicht selten als unnötiger Luxus, erlaubt sind Todesstrafen für Minderjährige und Geisteskranke, es wird kein Unterschied (wenigstens formell) zwischen Staatsangehörigen des Königreichs und Ausländern bei der Aburteilung gemacht (insbesondere waren unter den Hingerichteten am 2. Januar Bürger Tschads und Ägyptens).

Laut der Scharia kann der Richter drei Strafarten auferlegen: Hadd-Strafe (für Verbrechen gegen die Moral und die öffentliche Ordnung — Alkoholkonsum, Glücksspiele, Verleumdung, Unzucht), Qisas-Strafe (Strafe nach dem Prinzip „Auge für Auge“, die für Mord und schwere Körperverletzungen verhängt wird) und Tazir-Strafe (für Verstöße gegen die öffentliche Ordnung wie Homosexualität, Ehebruch, Diebstahl auf dem Markt, Ungehorsam gegenüber den Behörden, Nichteinhaltung des Fastens u. ä.). Hadd sieht in der Regel öffentliche Peitschenhiebe vor, bei Qisas kann der angerichtete Schaden mit Geldstrafen geahndet werden (Diya), und Tazir kann in einer großen Bandbreite variieren— vom belehrenden Gespräch bis hin zur Enthauptung mit anschließender Kreuzigung.

Heilende Peitschen

Meistens geraten Strafen mit Peitschenhieben in den Fokus der Aufmerksamkeit der ausländischen Medien. Obwohl sie fast in der ganzen muslimischen Welt verbreitet sind, fällt Saudi-Arabien deutlich aus dem Rahmen. Dort wird öfter und viel mehr geschlagen. Irgendwelche strengen Normen gibt es nicht: Die Scharia-Richter entscheiden selbst, wie viele Peitschenhiebe der Straftäter verdient.

Der traurige Rekord gehört dem Ägypter Muhammad Ali al-Sayyid: 1990 wurde er zu 4000 Peitschenhieben verurteilt. Er-Riad erklärte der empörten Weltöffentlichkeit, dass al-Sayyid eine Gnade erwiesen worden sei: Der Ägypter wurde des Raubüberfalls bezichtigt, und ihm hätte eine Hand abgeschlagen werden müssen. Letzen Endes sei die Strafe jedoch nur auf Peitschenhiebe beschränkt worden.



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4000 Peitschenhiebe — ist das viel oder wenig? Darüber sprach der Philippine Donato Lama, der 1999 wegen seines öffentlichen Bekenntnis zum Christentum zu 75 Peitschenhieben verurteilt worden war: „Ich wurde zum Ort des Vollzugs der Prügelstrafe gebracht und an die Säule gebunden. Mir wurden Handschellen angelegt, auch die Beine wurden festgebunden. Ich hatte ein T-Shirt und eine Jogginghose an. Die Peitsche war anderthalb Meter lang, ihr Ende war mit einem Stück Blei beschwert. Ich erhielt mehrere Schläge auf meine Schenkel und den Rücken. Ich wäre hingefallen, als die Peitsche gegen meine Beine knallte, aber mich hielt der Wachmann aufrecht, die Exekution dauerte an. Überraschenderweise habe ich die 75 Schläge überlebt, ich war noch am Leben. Das Blut floss mir den Rücken hinunter, ich schrie“.

Noch eine Art der öffentlichen Strafe ist die Enthauptung. Sie erfolgt vor einer großen Menschenmenge. In der Regel wird die Leiche des Verbrechers nach der Todesstrafe zu Erziehungszielen zur Schau gestellt, meistens gekreuzigt.

Kampf um Nüchternheit

Die meistverbreitete Straftat, für die die saudi-arabische Justiz Ausländer bestraft, ist der Verstoß gegen das strenge Scharia-Alkoholverbot. Im Vorvorjahr verhaftete die Polizei in der Stadt Dschidda den 73-jährigen Briten Karl Andree, bei dem eine Flasche Hausbranntwein aufgefunden worden war. Obwohl Andree an Krebs und Asthma erkrankt war, saß er mehr als ein Jahr im Gefängnis und wartete auf seine Strafe — 350 Peitschenhiebe. Erst nachdem die britische Regierung unter dem Druck der Verwandten von Andree und dem damals frisch gewählten Chef der oppositionellen Labour Party, Jeremy Corbyn, mit Er-Riad den Vertrag für die Ausbildung des Gefängnispersonals aufgelöst und mit einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen gedroht hatte, lenkten die Saudi-Araber ein und ließen den Verurteilten frei.

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Er hatte aber noch großes Glück gehabt. Sein Landsmann John Kelly wurde 1985 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis und zu fünf Mal 50 Peitschenhieben — mit zweimonatigen Pausen zur Rehabilitation dazwischen, sowie einer Geldstrafe in Höhe von 17 000 Pfund Sterling verurteilt. Die Empörung der britischen Regierung war so groß, dass Er-Riad es 30 Jahre lang vorzog, beim Schwarzbrennen der britischen Expats ein Auge zuzudrücken und bei unangenehmen Zwischenfällen die betroffenen Personen auszuweisen, wie es bei Peter und Ann Goldsmith, die der Herstellung von Hausbranntwein und der Einfuhr von Whisky ins Land überführt wurden, der Fall war.

Was Großbritannien, einem der saudi-arabischen Schlüsselverbündeten seit Gründungsdatum des wahhabitischen Königreiches erlaubt ist, ist für andere Länder nicht der Fall. Im September 1999 wurden im Gepäck des Philippinen Faustino Salazar zwei Tafeln Schokolade mit alkoholischer Füllung gefunden. Trotz der Versicherung des Verhafteten, dass er die Schokolade im Duty-Free-Shop im Bahrainer Flughafen gekauft hat, wurde er zu 75 Peitschenhieben und vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Land einer Religion

Übrigens werden die religiösen Straftaten um vieles ernsthafter betrachtet. Die schlimmste ist die Abkehr vom Glauben, woruntr nicht nur die Konversion zu einem anderen Glauben, sondern auch Atheismus verstanden wird. Der palästinensische Dichter Aschraf Fajadh sitzt jetzt im Gefängnis und wartet auf den Vollzug seiner Todesstrafe: Nach Meinung der Scharia-Richter propagierte er in einem seiner Bücher den Atheismus.

Dabei bilden mehr als sieben Prozent der Bevölkerung Saudi-Arabiens Nicht-Muslime. Die Mehrheit bilden katholische Gastarbeiter von den Philippinen, aber es gibt auch Vertreter anderer Konfessionen: Protestanten aus Europa, Orthodoxe aus Ägypten, Äthiopien und Eritrea. Das öffentliche Bekenntnis zum Christentum ist im Königreich verboten, man darf auch keine nicht-islamischen religiösen Gegenstände, darunter die Bibel, Kreuze und die Darstellung der Heiligen aufbewahren. Beten dürfen die Christen und die Vertreter anderer Religionen nur daheim. Für die Einhaltung des Gesetzes ist eine spezielle Religionspolizei – Scharia-Garde — zuständig.

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Die islamische Religionspolizei in Saudi Arabien

Nicht selten werden Ausländer mit christlichem Glauben zu Geiseln der internationalen Situation. Nachdem 2004 in die Medien die Information über die Entweihung des Korans durch das US-Militär auf dem Stützpunkt Guantánamo durchgesickert worden war, führte die Scharia-Garde zahlreiche Wohnungsdurchsuchungen bei Christen durch. In einer Wohnung wurde eine illegale katholische Kirche entlarvt, mehr als 40 christliche Pakistaner sowie mehrere katholische Philippiner wurden inhaftiert. Es erübrigt sich zu sagen, dass kein Amerikaner verhaftet worden war: Washington ist auch ein Schlüsselverbündeter Er-Riads, mit dem die Saudis keinen Ärger haben wollen. Es ist um vieles einfacher, ihren Zorn an den schutzlosen Philippinern oder pakistanischen Christen auszulassen, die in ihrer Heimat als Parias gelten.

Sex und Gefängnis

Ein wichtiges Tätigkeitsgebiet der Scharia-Gerichte ist die Verhinderung von Unzucht und Ehebruch. Wobei diese Begriffe sehr breit gedeutet werden. Im Oktober 2009 erzählte Masen Abdul-Dschawad, Mitarbeiter der Fluggesellschaft Saudia, im libanesischen Fernsehen über sein sexuelles Leben und seine Bekanntschaften mit Frauen. Nach der Heimkehr wurde er zu fünf Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt.

Am empörendsten war der Fall der „Vergewaltigung von Katif“. 2006 wurden eine junge Schiitin und ihr Gefährte, die in einem Auto saßen, von sieben Menschen überfallen, entführt und vergewaltigt. Die Täter erhielten je 100 Peitschenhiebe und Haftstrafen. Die Opfer der Vergewaltigung wurden auch verurteilt: zu einem halben Jahr Haft und je 200 Peitschenhieben, da sie zusammen in einem Auto saßen, obwohl sie keine Eheleute waren.

Trotz des riesigen Drucks seitens der konservativen Bevölkerung und der Scharia-Garde wendete sich der Mann der Betroffenen von ihr nicht ab und erklärte, dass seine Frau nicht schuldig sei. Weltweit erhob sich eine Welle der Empörung. Sogar der zukünftige US-Präsident Barack Obama, damals noch Senator, rief das Außenministerium dazu auf, alles Mögliche zu tun, um die Opfern vor der Strafe zu bewahren. Letztlich fällte König Abdalla ein salomonisches Urteil: Er hob das Urteil gegen die Inhaftierten auf und erklärte dies mit Gründen des Gemeinwohls, betonte jedoch, dass der Richter absolut berechtigt gehandelt habe.

„Paradies für Schwule“

Homosexualität in Saudi-Arabien wird auch hart bestraft — wegen homosexuellen Handlungen drohen sogar Enthauptungen. Jedoch erlegen die Richter oft eine ziemlich milde Strafe auf, besonders im Vergleich zu Urteilen bei anderen Gesetzesartikeln. So bekam einer der Einwohner des Königreiches, dessen Name nicht genannt wird, drei Jahre Haft und 450 Peitschenhiebe: Ihm wurde vorgeworfen, dass er via Twitter Männer datete. Er wurde wegen „Werbung für das Laster und die Praxis der Homosexualität“ verurteilt.



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Womöglich besteht einer der Gründe darin, dass die Homosexualität in Saudi-Arabien weit verbreitet ist. Im Königreich bildete sich eine paradoxe Situation: Dem Kampf gegen den außerehelichen Sex, die Beziehungen zwischen Mann und Frau wird viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als dem Kampf gegen den gleichgeschlechtlichen Sex. Zwischen den Schwulen und saudi-arabischen Behörden besteht ein Geheimpakt: Die LGBT-Community demonstriert eine respektvolle Einstellung gegenüber den Normen des Wahhabismus, im Gegenzug drücken die Behörden bezüglich des „Privatlebens“ dieser Bürger ein Auge zu. Ab und zu kommt es zu Zwischenfällen, aber im Großen und Ganzen wird dieser Pakt eingehalten. Der in den USA lebende saudische Homosexuelle Radwan gestand in einem Interview mit “The Atlantic”, dass in großen Städten wie Dschidda und Er-Riad eine große LGBT-Community existiert. Viele Schwule treffen sich öffentlich in Cafés, vereinbaren Dates auf den Straßen und im Internet. Der syrische Homosexuelle Taljal, der im Königreich bereits 15 Jahre lebt, bezeichnete Er-Riad gar als „Paradies für Schwule“.

Homosexualität in Saudi-Arabien ist etwas Anderes als in Europa. Die Einstellung zu gleichgeschlechtlichen Kontakten ähnelt im Königreich der Einstellung in russischen Gefängnissen. Es wird angenommen, dass der Ruf des passiven Partners leidet, und der Aktive betont seine Männlichkeit und ist sozusagen kein Homosexueller.

Die strengen Scharia-Gesetze, die den sexuellen Kontakt zwischen nicht miteinander verheirateten Männern und Frauen verbieten, verleiten junge Männer zur Suche nach gleichgeschlechtlichen Partnern. In den nach Geschlechtern getrennten Schulen und Universitäten in Saudi-Arabien kommt es gelegentlich zu gleichgeschlechtlichen Kontakten, die auf beiderseitigem Einverständnis basieren oder in Form von Vergewaltigungen geschehen.

Krieg gegen Hexer

Während die saudi-arabischen Behörden bei der Homosexualität ein Auge zudrücken, kämpfen sie gegen Hexer entschieden und kompromisslos. In den meisten Fällen lautet das Urteil nur: Enthauptung mit anschließender Kreuzigung — als Mahnung für andere.

In der Regel werden im Königreich Menschen, die Hexerei betreiben, von wachsamen Nachbarn oder Untergebenen angezeigt. Dafür wurde eine spezielle Hotline eingerichtet: Jeder kann magische Straftaten im Kampf gegen Hexer melden. Bei der Verhaftung werden zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Viele Araber glauben, dass einige Hexer mit Dschinn paktieren, weshalb sie fliegen können.

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2007 wurde in Er-Riad der ägyptische Apotheker Mustafa Ibrahim enthauptet, weil er „Magie und Hexerei sowie Ehebruch betrieb und den Koran entweihte“. Nachbarn haben ihn denunziert, dass er den Koran in der Toilette aufbewahrte. Im Verlauf der Ermittlungen stellte es sich heraus, dass Ibrahim mit Hilfe der schwarzen Hexerei eine fremde Ehe zerstörte und in seiner Wohnung Bücher für schwarze Magie und Kerzen mit geheimnisvollen Aufschriften gefunden wurden, — offensichtlich Zaubersprüche, um Teufel heraufzubeschwören sowie übelriechende Kräuter. Das reichte vollkommen, um den Apotheker zur Todesstrafe zu verurteilen.

2010 wurde der libanesische Wahrsager Ali Hussain Sibat enthauptet: Bei seinem Auftritt auf einer Talkshow sagte er den Interessenten ihre Zukunft voraus und gab den Zuschauern Ratschläge. Die saudi-arabischen Geheimdienste späten ihn viele Jahre lang aus und verhafteten ihn, als er sich unvorsichtigerweise auf eine Pilgerreise begab.

Meistens werden jedoch Gastarbeiter Opfer der wachsamen Kämpfer gegen die Magie, deren Status niedriger als der der Saudis ist, und die sich nicht verteidigen können. So wurden im Mai 2013 zwei Zimmermädchen aus Südostasien zu 1000 Peitschenhieben und zehn Jahren Haft wegen des durch Magie angerichteten Schadens verurteilt. Angesichts der Härte des Gesetzes kamen die Frauen noch gut davon.

Besonderheiten in Saudi-Arabien rufen regelmäßig Proteste im Westen hervor. Die europäischen Bürger und andere zivilisierte Länder stellen sich nicht selten die Frage: Warum drücken Washington und London, die den Iran zur „Achse des Bösen“ zählen, weil dort die Todesstrafe sehr häufig angewandt wird, ein Auge in Bezug auf die deutlich strengeren Urteile der Scharia-Gerichte im wahhabitischen Königreich zu?

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