Hintergründe

Die Opfer von Den Haag: Selbstmorde, Krebs, Zeugensterben und weitere Ungereimtheiten

Die Opfer von Den Haag: Selbstmorde, Krebs, Zeugensterben und weitere Ungereimtheiten
Vor den Augen der Anwälte, Richter und Medien nahm sich Slobodan Praljak das Leben

Betrachtet man die Ergebnisse der Arbeit des Tribunals von Den Haag (ICTY), so entsteht der Eindruck, dass es sich bei dem Gremium eher um ein Bestattungsbüro handelt als um ein internationales Gericht, das durch seine Urteile die Völker des ehemaligen Jugoslawiens versöhnen sollte.

Der bosnisch-kroatische General Slobodan Praljak wurde zum dreizehnten „Kunden“, bei dessen Tod der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) auf die eine oder andere Weise direkt mitgewirkt hatte. Während der fast 20 Jahre der Arbeit des ICTY hat das Tribunal alle zwei Jahre einen Angeklagten oder bereits Verurteilten verloren – und das ohne Berücksichtigung plötzlicher Todesfälle einiger „unbequemer Zeugen“ unter teilweise ungeklärten Umständen.

So hat sich beispielsweise am 5. März 2006 Milan Babic das Leben genommen, der politische Anführer der nicht anerkannten Republik Serbische Krajina, die zwischen 1991 bis 1995 circa ein Drittel des heutigen kroatischen Staatsgebietes kontrollierte. Bemerkenswerterweise hat das ICTY zwar den Suizid damals bestätigt – allerdings nicht die Information, dass sich Babic tatsächlich erhängt hatte. Wie er sich das Leben genommen haben soll, ist also formell weiter unklar.

Am 11. April 2002 schoss sich der ehemalige Innenminister Serbiens Vlajko Stojiljkovic vor dem damaligen Gebäude des Parlaments der Republik Jugoslawien in Belgrad in den Kopf, nachdem ein Gesetz zur verpflichtenden Kooperation mit dem Tribunal in Den Haag verabschiedet worden war. Zwei Tage später verstarb er im Zentrum für Notfallmedizin in Belgrad.

Der aber wohl mysteriöseste Todesfall unter den ranghohen Angeklagten des ICTY ist der des „größten Fisches von Den Haag“ – des ehemaligen Präsidenten Jugoslawiens Slobodan Milošević. Zur Erinnerung: Er starb, ohne verurteilt worden zu sein. Offiziell ereilte ihn am 11. März 2006 ein Herzinfarkt, weil er sich nicht an die ihm verschriebene Medikamentenkur gehalten hatte, sondern Selbstmedikation betrieben habe – also die Eigenbehandlung mit nicht vorgeschriebenen Arzneimitteln.

Einige Tage zuvor beklagte sich Milošević allerdings in einem Brief an das russische Außenministerium, dass in seinem Blut Antibiotika zur Behandlung von Tuberkulose und Lepra gefunden worden seien. „Aber in den fünf Jahren im Gefängnis habe ich nie Antibiotika genommen“, schrieb der ehemalige Präsident. Mehr noch, das gefundene Antibiotikum neutralisiert in seiner Wirkung Medikamente, die Milošević zur Stärkung des Herzmuskels wirklich nehmen musste. Bald erschienen in dem Zusammenhang mit Miloševićs Tod zahlreiche Theorien, darunter die vom „langen Arm Moskaus“.

So erklärte der Toxikologe Donald Uges in einem Interview mit Reuters, Milošević könnte das Antibiotikum absichtlich genommen haben, um aus Gesundheitsgründen vom ICTY nach Moskau freigelassen zu werden, wo er bestimmt die Freiheit bekommen hätte. Selbstverständlich gibt es auch eine Gegentheorie: Das Tribunal habe Milošević selbst getötet, nachdem klar geworden sei, dass die Indizien für seine Schuld nicht tragbar seien. Doch das sind nur die „berühmtesten“ Opfer von Den Haag. Die Liste der Toten ist noch deutlich länger.

  • Slavko Dokmanovic, ehemaliger Bürgermeister der kroatischen Stadt Vukovar, erhängte sich in seiner Zelle am 29. Juni 1998.
  • Der ehemalige Bürgermeister der Stadt Prijedor Milan Kovacevic starb ebenfalls unverurteilt. Der offizielle Grund: Aortenruptur am 01. August 1998.
  • Erst am 9. Februar des letzten Jahres verstarb im Gefängnis auch der ehemalige Generalsstabschef der Republika Srpska Zdravko Tolimir, ohne verurteilt worden zu sein.

Und nun zu den tatsächlich verurteilten Opfern.

  • Ljubiša Beara, der Sicherheitschef des Generalstabs der Armee der Republika Srpska, starb am 9. Februar dieses Jahres überraschend.
  • Am 16. August 2015 ereilte der Tod den ehemaligen Oberbefehlshaber der Armee der Republik Serbische Krajina Mile Mrkic.

Einige serbische Anführer aus dem Jugoslawien-Krieg starben im UN-Gefängnis von Scheveningen (ein Stadtteil Den Haags) wegen unzureichender medizinischer Behandlung.

  • Goran Hadzic etwa, der ehemalige Präsident der Republik Serbische Krajina, starb am 12. Juli des letzten Jahres, nachdem das Tribunal sich mehrere Monate lang geweigert hatte, den an Gehirnkrebs leidenden Serben zur Behandlung freizulassen.
  • Djordje Djukic, ein General der Republika Srpska, starb im Jahr 1996 – einen Monat nachdem er wegen seiner Krebserkrankung aus dem Gefängnis freigelassen wurde.
  • 2003 starb ein anderer schwerkranker General der Republika Srpska, Momir Talic, ohne seine Verurteilung jemals empfangen zu haben.

Allerdings verstarben nicht nur Angeklagte. So ereilte der Tod überraschend gleich 19 wichtige Zeugen im Fall des einstigen kosovarischen Feldkommandeurs und nun Premiers der selbst ernannten Republik Kosovo Ramush Haradinaj, der seinerseits aus unverständlichen Gründen in allen Anklagepunkten, darunter Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für unschuldig befunden wurde.

Manche dieser Zeugen wurden ermordet – und das trotz des Programms des Zeugenschutzes vom ICTY. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Dusan Dunjic, der Schlüsselzeuge für die Verteidigung des Befehlshabers der bosnischen Serben Ratko Mladić, in einem Hotel in Den Haag am 22. Oktober 2015 tot aufgefunden wurde – und zwar just an dem Tag, wo er hätte vor Gericht aussagen müssen. Wie das Tribunal in Den Haag danach offiziell mitteilte, war der General „aus natürlichen Gründen“ verstorben. Allerdings haben die Anwälte klar bezeugt, dass Dunic völlig gesund gewesen sei und sich nie über seinen physischen Zustand beklagt habe.

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