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Chemsexpartys in Berlin: Drogen, Sexorgien und Strichjungen – Die kranke Welt von Volker Beck

chemsexpartys in berlin drogen sexorgien und strichjungen die kranke welt von volker beck
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Anfang März wurde der Bundestagsabgeordnete Volker Beck auf frischer Tat beim Kauf der Droge Crystal Meth erwischt. Bis heute ist unklar ob Beck selbst konsumierte oder die harte Droge womöglich für andere Zwecke benutzte. Crystal verursacht euphorische Zustände und sexuelles Verlangen. Bekannte Nebenwirkungen sind Schlafstörungen, Paranoia und Psychosen. Regelmäßiger Konsum kann zudem ein äußerst aggressives Verhalten auslösen. Sie kann geraucht, geschnupft oder gespritzt werden. In der Berliner Schwulenszene ist das Betäubungsmittel weit verbreitet.

Andreas von Hillner von der Schwulenberatung in Berlin erklärt den Siegeszug der Droge innerhalb der Szene: »Es gibt schon länger private oder halböffentliche Partys, wo dann konsumiert wird. Bei schwulen Männern wird die Substanz vor allem in sexuellen Zusammenhängen eingesetzt. Es gibt aber eine starke Vermutung bei uns, dass es bei unserer Zielgruppe schon über das Sexuelle hinausgegangen ist, nämlich in den Alltag und in die Freizeit.«

Freitagnacht, Nähe Rathaus Neukölln: Ein Dutzend Männer zwischen 20 und 50, nackt in einer Altbauwohnung. Eine Chem-Session, es geht um Sex auf synthetischen Drogen. Auf den Kirschbaum-Dielen, im Futon-Bett und sogar in der Kleopatra-Wanne im Bad. Es wird geknutscht, gelutscht und gefickt, zu zweit, zu dritt, zu viert, auch ohne Gummis. Es riecht nach Axe-Deos und Pfefferminz-Blutorange. Die Drogen und das Zubehör sind auf dem Wohnzimmertisch angerichtet. Zwei Männer stecken sich gerade nacheinander dieselbe Nadel in den Arm. Zwei Jungs, Ende 20, in pastellfarbenen American-Apparel–Unterhosen, haben ein Schachbrett entdeckt und spielen bestimmt acht Stunden darauf. Am frühen Morgen werfen sie Viagra ein, aus Angst vor dem berüchtigten Crystal-Schlappschwanz, und fallen übereinander her. Auf dem Flauschteppich liegen zwei andere Männer, etwas älter, mit zerwuscheltem Haar fast schon komatös. „Selbst Schuld“, raunt einer: Die hätten vorher GHB mit Alkohol runtergespült. „Anfängerfehler.“ „Oder wollen die noch gefickt werden?“, keift ein anderer.

„Am Ende wollt ihr alle nur T“, schmettert der Anfang 30-jährige Gastgeber. T, oder auch Tina ist der Code-Name für Crystal Meth. Es ist der Motor hinter den Chem-Sex-Sessions. Kein anderes Phänomen seit dem Aufkommen von HIV Anfang der Achtziger hat schwules Sexleben derart verändert wie dieser neue Mix aus Sex und Methamphetamin. Und Berlin ist das kontinentale Epizentrum dieses Trends. Nur in London greift der Chem-Sex-Trend noch weiter um sich als hier.

„Der Kopf muss frei sein, um zu fliegen“

„Viele kommen überhaupt nur nach Berlin, um auf Chem-Partys zu gehen“, erzählt Tobias, 25. Seit er 18 ist, geht er in Sexclubs, vor einem Jahr entdeckte er die privaten Drogen-Sex-Sessions für sich. „Du musst nur schreiben: Ich hab das und das da. Schon kommen die Leute.“ Man sollte aber wirklich, findet er, ein ganzes Wochenende frei haben. „Der Kopf muss frei sein, um zu fliegen.“ Überhaupt hat sich Tobias strenge Regeln aufgestellt: Er bringt seine Drogen selbst mit, nimmt höchstens was von Leuten an, die er kennt. Zwischendurch isst er Kekse und Bananen, um nicht zu unterzuckern. Hinterher schluckt er Calcium, Magnesium und führt brav Drogen-Sex-Tagebuch. „Ich nehme nicht erst Drogen und entspanne dann mit Sex“, sagt er, „sondern ich verabrede mich mit Leuten, die ich gut finde, und habe dann die Option auf Drogen.“ Man halte mehr aus, könne sich auf Ketamin länger rannehmen lassen. Für Aktive empfehle er Crystal Meth: „Das macht klar und triebgesteuert.“ Bisher habe er mit Drogen-Sex nur gute Erfahrungen gemacht. Und doch fängt er immer öfter an, zu vergleichen, wenn er drogenlos fickt: „Wie wäre der Sex jetzt, wenn ich doch was nehmen könnte?“

Klar gibt es nach wie vor die kommerziellen Darkrooms, viele um die Motzstraße herum. Dort und auch in schwulen Sexclubs wie dem Lab.Oratory im Berghain-Keller werden Drogen halbvorsichtig auf den Toiletten injiziert. Bei der privaten Party geht das vor aller Augen auf der Couch.

Drogenaffine Menschen sprechen vom Setting, der Umgebung, und dem Set, der inneren Stimmung. Bei privaten Sessions ist die Stimmung wesentlich intimer, sagen einige. Viele kommerzielle Darkrooms schließen obendrein irgendwann morgens. Im Wohnzimmer kann es weiter gehen, bis die Sonne zwei Mal auf- und wieder untergegangen ist.

Chem-Partys über die ganze Stadt verteilt

Seit drei, vier Jahren sind die privaten Chem-Sex-Partys mächtig angesagt bei Männern, die Sex mit Männern haben. In Dating-Profilen taucht der Wunsch danach plötzlich immer uncodierter, offensiver auf. Wer auf Dating-Plattformen wie Grindr, Scruff oder Gayromeo signalisieren will, dass er für Crystal Meth zu haben ist, schreibt einfach ein großes T, wo es sonst nicht hingehört. „LongTime“ heißt kristallklar: Ich will lange ficken und ich will es auf Crystal Meth. Wer sich oder anderen die Droge per Nadel in die Vene jagen will, schreibt „G2TP“. Get to the point. Immer öfter liest man auch schlicht: „chem friendly“. Im Darknet, dem dunklen Untergrund des Internets, kann man sich schon lange gezielt zum Drogensex verabreden. Aber mittlerweise geht vieles ganz offen über die legalen Dating-Apps und -Seiten. Auch Pornovideos mit Drogeninjektionen sind frei im Netz erklickbar.

Die privaten Chem-Partys gibt es in Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln. Im Grunde aber überall. Etwas verstärkt in Mitte. Dort sind die Chancen wohl am höchsten, Gäste digital anzuködern. Manche kommen nur, wenn vor Ort Meth gesponsert wird. Andere verballern 200 Euro am Wochenende. Ein Gramm Methamphetamin kostet in Berlin etwa 80 Euro. Wenn die Wirkung nachlässt, wird nachgelegt.

Zurück in Neukölln, inzwischen ist es Samstag, es wird gequatscht und gelacht. Themen von Fernbeziehung bis Fist-Fetisch. Einer, der irgendwann behauptet hatte, dass er Philosophie studiert, sagt: „Warum will man immer mehr ficken? Das Ergebnis ist so überraschend wie die Bilder auf dem einarmigen Banditen. Trotzdem drückt man immer wieder.“ Zwei, die sich im Rausch gefunden haben, kriegen die anderen kaum auseinander. Sie versuchen, mit ihren Händen dazwischen zu gehen und einen der beiden schlanken Männer für sich zu ergattern. Einem Typ um die 40, mit vielen Falten in den Händen, geht es augenscheinlich darum, möglichst viele Schwänze hintereinander in den Mund zu bekommen. Die zwei Jungs vom Schachbrett machen inzwischen beim Sex hektische, abgehackte Bewegungen, ihre Augen zucken und flackern.

 

Der Drogen- und Suchtbericht 2015 der Bundesregierung verweist im Zusammenhang mit Crystal Meth auf die „Meth-Studie“ des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg. Die Befragten waren zwischen 15 und 63, darunter zwei Dutzend Männer aus Berlin, die sich einer schwulen Sexparty-Szene zuordneten. Die „Teilnehmer gaben dabei nicht selten an, sozial gut eingebunden zu sein und akademische Berufe auszuüben“, heißt es im Bericht. Als Motive nannten die Männer: „Neugierde, Angebot mitzukonsumieren“, „keine Ahnung von Gefahren“, „Luststeigerung und Reiz des Verbotenen“. Bei einem anderen Befragten klingt es apokalyptischer: „In steht die erste große Crystalwelle ins Haus, weil die Substanz jetzt hier vermehrt verfügbar ist.“ Die Auslassungspunkte finden sich im Bericht. Dabei liegt es nahe, dass hier von Berlin die Rede ist.

Vom vom Darkroom in die Notaufnahme

Eine Crystal-Sex-Welle? Die Berliner Polizei gibt sich wortkarg. Auf Anfrage der ZITTY sagt ihr Sprecher Stefan Redlich lediglich: „Der Polizei Berlin liegen keine Statistiken vor, aus denen Drogenfunde oder Razzien mit den von Ihnen genannten Partys in Verbindung gebracht werden könnten.“ Mehr zu sagen weiß Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité. Sie will zwar noch nicht von einer Epidemie sprechen; und von den Dimensionen an der amerikanischen Ostküste sei Berlin auch noch entfernt – gleichwohl: Sie beobachtet seit vielen Jahren einen Anstieg von Crystal-Abhängigen in der Notaufnahme und in der Therapie. Und: Ja, da gebe es sie, die Leute, die davon erzählen, dass sie gerade noch im Berghain oder anderen Darkrooms waren.

Klare Worte findet Andreas von Hillner, Suchttherapeut der Berliner Schwulenberatung: „Viele sagen, Crystal sei in Berlin noch nicht so richtig angekommen. Aber uns fliegt das Thema um die Ohren. Massiv. Sehr, sehr oft in Kombination mit Sex.“ Vor allem durch die privat organisierten Sessions mit Crystal Meth. Statt wie in den 90ern Ecstasy und MDMA sind heute Speed, Crystal Meth, GHB und Ketamin angesagt. Natürlich gibt es auch diese Drogen schon lange, aber die Kombination mit Sex ist das neue Ding. Mephedron spiele im Unterschied zu London hier noch keine so große Rolle, sagt von Hillner.

Aus seinen Beratungs- und Therapiegesprächen weiß er, was die meisten reizt: „die fatale Mischung aus extremem Glücksgefühl und der Erregung wie bei Angst, ohne dass man wirklich Angst haben müsste. Die Enthemmung per Spritze passt wunderbar zu grenzenlosem Sex in tagelangen Exzessen.“ Manche konsumieren wöchentlich, andere, wie Tobias, nur alle paar Wochen, manche nur zwei Mal im Jahr.

„Mit dem Sich-Einlassen auf gemeinsame Sex-Partys entsteht vordergründig etwas wie Nähe und Verbundenheit“, erklärt von Hillner. „Man verschmilzt miteinander. Viele benutzen dann auch dieselbe Spritze, was HIV und Hepatitis C den Vorschub leistet.“ Hier könnte eine Erklärung liegen für die steigende Zahl der HIV-Neudiagnosen in Berlin bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Schon 2014 rätselte das Robert-Koch-Institut im Epidemiologischen Bulletin: „Überraschend und unerklärt bleibt die Entwicklung in Berlin.“ Die Daten lieferten „keine befriedigende Erklärung für den deutlichen Anstieg von HIV-Neudiagnosen bei MSM in Berlin.“ Es ist gut möglich, dass in den Chem-Sessions der Schlüssel zur Erklärung liegt. Sehr viele, die sie besuchen, erzählen davon, dass sie, obwohl sie sonst auf Kondome achten, bei den Sessions schon ungeschützten Sex hatten. Für 2013 registrierte das Instiut einen Anstieg der Neuinfektionen in Berlin bei MSM auf 364 – fast jeder Tag ein neuer Mann mit HIV. 2014 sank die Zahl wieder auf 292.*

„Diese Partys werden mit einem ungeheuren Preis bezahlt – und damit meine ich nicht Euro“ sagt von Hillner. Sehr, sehr viele seiner Patienten sagen, dass sie Sex ohne Droge nicht mehr genießen können. Am schlimmsten seien oft die psychischen Folgen von Crystal: Paranoia, Depression, Angstzustände, Verfolgungswahn und Psychosen. Nicht selten hört er von Selbstmordfantasien. „Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass der kontrollierte Konsum von Crystal möglich ist“, sagt er.

Verfolgungswahn und Halluzinationen

Christian, 35, sagt: „Ich war zweieinhalb Jahre fast dauerdrauf“, heute ist er in Therapie. „Jedes Küssen, jede noch so einfache Berührung war um ein Vielfaches verstärkt. Von einer Sekunde auf die andere. Alles in Hab-Acht-Stellung. Krasses Kopfkino.“ Anfangs spritzte er sich Crystal nur bei Chem-Sessions am Wochenende. Nach einem Jahr aber auch allein zu Hause. Um sich abzulenken, wenn die harte Realität zurückkam. In guten Wochen schlief er vier Nächte. Essen, Trinken? „Alles schmeckte widerlich. Mein Körper war kaputt, ich hatte schwere Depressionen.“ Dann kam die Paranoia. Viermal hat er neue Laptops gekauft und wieder zertrümmert. Er war felsenfest überzeugt, dass man ihn überwacht und ihm Böses will. „Crystal ist echt verdammt krass. Du hast ein Leben, du konsumierst es; dann geht eine Wand auf und dahinter beginnt eine andere Welt.“ Konsumenten hätten oft gestörte Phantasien. „Die werden völlig aggro. Schreien einen an, dass man hinter ihrem Rücken tuscheln würde.“ Im Sommer kamen auch bei ihm Halluzinationen hinzu: Christian sah Menschen, die es nicht gab. „Das war kein Leben mehr. Ich war dabei, mich zugrunde zu richten. Ich hatte den Drang, aus dem Fenster zu springen, wusste aber auch, dass ich das nicht wirklich will.“ Nach außen hin wahrte er, so gut es ging, den Schein als wohlorganisierter Büro-Kaufmann. Ein Doppelleben. Seine Freunde wussten nichts davon.

Inzwischen hat Christian seine Drogenkontakte abgebrochen. Seine Freunde sind noch da, obwohl er während der zweieinhalb Jahre Drogenzeit sehr unzuverlässig geworden war. Seit er in Therapie ist, hat Christian nur noch einmal Crystal gespritzt – den Rest, der noch im Schrank war. Alle Profile in schwulen Social Media sind gelöscht. Selbstschutz. Manche Drogen-Buddys aus Christians altem Leben haben noch kurz gesimst, gaben aber rasch auf. „Im Grunde werden einzelne Personen auch komplett egal, wenn man von der Droge gefangen ist. Die Personen sind Mittel, um den Fetisch auszuleben. Du bist Mittel, um Drogen-Sex zu haben. Wenn du es nicht bist, kommt ein anderer.“

Neun Monate lang konnte oder wollte Christian keinen Sex mehr haben, aus Angst vor Flashbacks und Rückfall. Heute geht es wieder. Partys besucht er gar nicht mehr: „Dieses Leben habe ich abgeschlossen.“ Schlafen kann er wieder, kann auch Stille ertragen. Als im Winter das Heizen losging, musste Christian lachen. Das Knacksen in den Röhren, das ihm solche Angst bereitet hatte, ist inzwischen eben nicht mehr als das: ein Sound im Hintergrund. Spielt da manchmal noch der Gedanke, trotzdem wieder zur Nadel zu greifen? „Ich würde lügen“, sagt Christian, „wenn ich sagte, dass es nicht so wäre.“ Der Absprung vom Crystal gelingt, laut Isabella Heuser von der Charité, beim ersten Versuch übrigens nur 20 Prozent der Menschen. Förderlich seien Faktoren wie Rückhalt in der Partnerschaft oder in der Familie.

Zurück in Neukölln, inzwischen ist es Sonntag. Die, die sich noch nicht auf andere Sessions verzogen haben, lehnen in ihre Druckmotiv-T-Shirts und Karohemden gehüllt an den Raufaserwänden und Regalen, in der Hand ihre Smartphones, unterwegs auf der Dating-App Grindr, um noch mehr Kerle ranzuholen. Den Menschen neben sich scheinen sie Lichtjahre entrückt.

* In der Erstfassung des Textes wurde die Schätzung der HIV-Infektionen für 2014 genannt. Da die realen Zahlen inzwischen vorliegen, haben wir sie nachgetragen. Red.

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