Hintergründe

Dokumente freigegeben: Deutsche Forscher halfen UdSSR beim Bau der Atombombe

Der russische Staatskonzern Rosatom hat Dokumente mit Informationen über deutsche Forscher veröffentlicht, die sich im Dritten Reich an der Entwicklung von Atomwaffen beteiligt hatten und nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion ausgewandert waren, um an der ersten sowjetischen Atombombe mitzuwirken.

Die Archivunterlagen über die Geschichte der sowjetischen Nuklearbranche, deren 75-jähriges Jubiläum im August 2020 begangen wird, wurden auf der Website „Rosatom-Geschichte“ veröffentlicht. Unter anderem handelt es sich um Fotokopien von Dokumenten, die mit der Entwicklung der sowjetischen Atomindustrie verbunden waren, sowie von „Sonderfragebögen“, die die deutschen Forscher in der Sowjetunion ausfüllten.

Deutsche Forscher in der Sowjetunion

Zum Ende des Zweiten Weltkrieges verfügte Deutschland über das Potenzial zur Entwicklung eigener Atomwaffen. In verschiedenen Forschungszentren wurden Experimente an Atommeilern durchgeführt, wo die Isotopenspaltung und Konstruktion der Atombombe analysiert wurde.

Als die Rote Armee 1945 Berlin erreichte, wurde im Auftrag der Sowjets die Suche nach deutschen Spezialisten organisiert, die über ihre Erfahrungen bei der Atomwaffenentwicklung berichten sollten.

Letztendlich wurden auf dem von der Roten Armee besetzten Territorium tatsächlich viele Wissenschaftler gefunden. In Moskau beschloss man, sie zur Teilnahme an einem ähnlichen Projekt in der Sowjetunion einzuladen. Insgesamt zogen mehr als 300 Menschen – Forscher und ihre Familienmitglieder – freiwillig in die UdSSR. Wie sie sich selbst später erinnerten, konnten sie sich dadurch vor Hunger und Not im Nachkriegs-Deutschland retten. In der Sowjetunion verdienten sie nicht schlecht und genossen relativ komfortable Lebensbedingungen. In den 1950er-Jahren kehrten sie heim – in die DDR oder in die BRD.

Sechs Sonderfragebögen

Jetzt hat Rosatom die Fragebögen veröffentlicht, die sechs deutsche Spezialisten auszufüllen hatten: der Nobelpreisträger Gustav Hertz, Nikolaus Riel, Manfred von Ardenne, Peter Thiessen, Heinz Pose und Robert Döpel. Jedes Dokument enthält ihre Antworten auf knapp 50 Fragen.

Gustav Hertz wurde in der Sowjetunion an die Spitze des extra für ihn eingerichteten „Instituts G“ gestellt, das sich bei Suchum befand und sich mit der Entwicklung von Methoden zur Urananreicherung durch Gasdiffusion beschäftigte.

Die sowjetische Führung legte viel Wert auf den Beitrag der deutschen Experten zur Entwicklung der sowjetischen Atombombe. So wurde Nikolaus Riel im Oktober 1949, zwei Monate nach dem erfolgreichen Test des ersten sowjetischen Atomsprengsatzes, der Orden „Held der Sozialistischen Arbeit“ verliehen. Dabei war er der einzige Ausländer unter den 36 Forschern, die mit diesem Orden ausgezeichnet wurden. Darüber hinaus bekam Riel den Stalin-Preis erster Klasse – die höchste materielle Auszeichnung in der damaligen Sowjetunion.

Hertz wurde seinerseits mit dem Stalin-Preis zweiter Klasse ausgezeichnet. Und Manfred von Ardenne, der zum Leiter des „Instituts A“ in Abchasien wurde, hat eine neue starke Ionenquelle für das Massenspektrometer entwickelt – Gerät für die Analyse von Uranisotopenmischungen. Er wurde sogar zwei Mal mit dem Stalin-Preis ausgezeichnet: 1947 für die Erfindung des Digitalmikroskops und 1953 für die elektromagnetische Isotopenspaltung und Aussonderung des Isotops von Lithium-6, das für den Bau von thermonuklearen Ladungen erforderlich war bzw. ist.

Peter Thiessen wurde mit dem Stalin-Preis erster Klasse und dem Lenin-Orden sowie mit dem Staatspreis der UdSSR und dem Rotbannerorden der Arbeit ausgezeichnet. Heinz Pose hatte sich vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland mit der Erforschung von nuklearen Reaktionen beschäftigt. In den frühen 1940er-Jahren beteiligte er sich an der Entwicklung des ersten Schwerwasser-Atommeilers, der aber 1942 wegen einer Havarie zerstört wurde.

In der Sowjetunion war Pose im „Labor W“ unweit von Obninsk (Gebiet Kaluga) tätig (heute ein Rosatom-Betrieb). Großteils dank den deutschen Spezialisten etablierte sich das Labor als eines der wichtigsten nuklearen Forschungszentren in der UdSSR.

Robert Döpel, der in Deutschland ebenfalls an der Entwicklung des experimentellen Meilers beteiligt war, spielte in der Sowjetunion eine wichtige Rolle für die Produktion von schwerem Wasser, das die Arbeit eines Atommeilers mit abgereichertem Uran ermöglichte. Der Forscher leitete den Lehrstuhl für experimentelle und nukleare Physik an der Universität Woronesch und kehrte später nach Deutschland, in die DDR zurück.

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