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Verbrechen im Afghanistan-Krieg: Internationaler Strafgerichtshof erlaubt Ermittlungen gegen USA

Verbrechen im Afghanistan-Krieg: Internationaler Strafgerichtshof erlaubt Ermittlungen gegen USA

Paukenschlag: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), ein seit 2002 auf Basis des Römischen Statuts tätiges internationales Strafgericht mit Sitz in Den Haag, hat in der vergangenen Woche seinen Chefankläger autorisiert, Ermittlungen gegen die USA wegen möglicher Verbrechen im Afghanistan-Krieg einzuleiten.

Die Entscheidung kommt überraschend. Noch im April war ein entsprechender Antrag von der Untersuchungskammer des Gerichtshofs abgelehnt worden. Es ist das erste Mal, dass der IStGH, dessen Aufgabe die Verfolgung von Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und kriegerischer Handlungen gegen Staaten ist, Angehörige der amerikanischen Armee zu Beschuldigten in einem Strafverfahren macht. Beobachter gehen davon aus, dass die Richter mit ihrer Entscheidung der Kritik von Menschenrechtsgruppen und Rechtsgelehrten Rechnung tragen, die der Vorinstanz vorgeworfen hatten, vor den Drohungen der US-Regierung unter Donald Trump eingeknickt zu sein.

Nach Angaben von Chefanklägerin Fatou Bom Bensouda, einer Juristin aus Gambia, liegen dem Gericht umfangreiche Informationen vor, die beweisen, dass die US-Truppen in Afghanistan Menschen gefoltert oder in anderer Weise grausam behandelten, Gräueltaten begingen und für Vergewaltigungen und andere Akte sexueller Gewalt verantwortlich waren.

Die Erkenntnisse von Bensouda beziehen sich auf Vorgänge in Afghanistan in den Jahren 2003 und 2004. Darüber hinaus geht es um relevante Straftaten, die zu späteren Zeitpunkten mutmaßlich in geheimen Gefängnissen der CIA in Polen, Rumänien und Litauen begangen wurden.

Die Untersuchungen richten sich nicht allein gegen Soldaten der US-Streitkräfte, sondern auch gegen Angehörige der afghanischen Regierungsarmee, der islamistischen Taliban und anderer Rebellengruppen, die im Land operierten bzw. noch immer operieren.

17.000 Zivilisten getötet

Nach Angaben der Vereinten Nationen haben allein die Taliban seit 2009 mehr als 17.000 Zivilisten getötet. 7.000 davon wurden gezielt ermordet. Gleichzeitig fand die UNO aber auch heraus, dass amerikanische und afghanische Einheiten in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 mehr Zivilpersonen umgebracht haben als die Taliban. Diese Feststellungen könnten Anknüpfungspunkt für weitere Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in der Zukunft sein.

In Washington hat man auf die Entscheidung des IStGH mit Empörung reagiert. Außenminister Mike Pompeo sprach von einem »wirklich atemberaubenden Vorgehen einer unverantwortlichen politischen Institution, die sich als ein Rechtskörper tarnt«. Pompeo wies darauf hin, dass die Vereinigten Staaten keine Vertragspartei des Römischen Statuts seien und sich deshalb nicht an Beschlüsse des Gerichtshofs gebunden fühlten.

Man werde im Gegenteil alle erforderlichen Schritte ergreifen, um US-Bürger vor diesem »unrechtmäßigen, angeblichen Gericht« zu schützen. Bereits im vergangenen Jahr war das Einreisevisum von Chefanklägerin Bensouda für die USA annulliert worden, nachdem die Juristin öffentlich ihre Absicht bekundet hatte, Ermittlungen gegen amerikanische Soldaten anzustellen. Darüber hinaus hat Außenminister Pompeo angedroht, allen Mitarbeitern des Gerichts, die an Ermittlungen gegen US-Militärs teilnehmen, die Einreise in die Vereinigten Staaten dauerhaft zu verweigern.

Schon seit geraumer Zeit übt die Regierung in Washington Druck auf den IStGH aus, um zu erreichen, dass der Gerichtshof auf die strafrechtliche Verfolgung von US-Bürgern verzichtet. Man sieht darin eine Bedrohung der amerikanischen Souveränität und der nationalen Sicherheitsinteressen, so zumindest die offizielle Begründung.

Fehlende Kooperationsbereitschaft

2018 machte der damaligen Sicherheitsberater von Präsident Trump, John Bolton, unmissverständlich deutlich, dass man den IStGH in keiner Weise unterstützen werde und auch nicht beabsichtige, dem Römischen Statut beizutreten. Und weiter: »Wenn der Gerichtshof hinter uns her ist, werden wir nicht still dasitzen.«

Die fehlende Kooperationsbereitschaft sowohl der US-Administration als auch der Regierung Afghanistans war der entscheidende Grund für die Untersuchungskammer, im April das Ansinnen von Chefanklägerin Bensouda abzulehnen, Ermittlungen gegen Angehörige von Militär und Geheimdiensten beider Staaten aufzunehmen. Solche Ermittlungen hätten ohne Unterstützung von offizieller Seite absehbar wenig Aussicht auf Erfolg und dienten deshalb nicht den »Interessen der Gerechtigkeit«, so die Begründung.

Dieses Argument ist nicht vom Tisch. Nach wie vor ist unklar, wie die Untersuchungen durchgeführt werden sollen, wenn Washington und Kabul jede Unterstützung verwehren. Die afghanische Regierung zieht sich im Übrigen auf die Position zurück, dass man bereits eine nationale Kommission zur Aufklärung möglicher Kriegsverbrechen geschaffen habe, weshalb die Nachforschungen des IStGH überflüssig seien.

Die Vereinigten Staaten, damals noch unter US-Präsident Bill Clinton, hatten das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs im Jahr 2000 zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert.

2002 zog Washington die Unterschrift unter den völkerrechtlichen Vertrag sogar wieder zurück, was zwar unüblich, aber zulässig ist. Gleichzeitig wurde am 2. August 2002 der »American Service-Members’ Protection« Act in Kraft gesetzt, um US-Bürger vor der Strafverfolgung durch den IStGH zu schützen. Denn obwohl die USA dem Abkommen nicht beigetreten sind, können Amerikaner der Rechtsprechung des Gerichtshofs unterfallen, wenn sie für schuldig befunden werden, Verbrechen in einem der Vertragsstaaten begangen zu haben.

Werden Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen?

Zu diesen Staaten zählen auch Afghanistan, Polen, Rumänien und Litauen – die Länder also, auf die Chefanklägerin Bensouda ihre jetzt vom IStGH genehmigten Ermittlungen erstrecken will.

Doch selbst wenn es aufgrund der Untersuchungsergebnisse zu Anklagen und am Ende sogar zu Verurteilungen von Angehörigen des US-amerikanischen Sicherheitsapparates wegen nachgewiesener Verbrechen im Sinne des Römischen Statuts kommen sollte, hätten die Betroffenen wenig zu befürchten. Denn der IStGH hat – anders als nationale Strafgerichte – keine Möglichkeit, seine Urteile zu vollstrecken und für schuldig befundene Angeklagte in Haft zu nehmen. Dazu ist das Gericht auf die Mitwirkung der Staaten angewiesen. Da die USA das Römische Statut aber nicht unterzeichnet haben, sind sie nicht verpflichtet, einer solchen Aufforderung nachzukommen.

Somit hat die Entscheidung des IStGH vor allem symbolischen Charakter und ist ein Signal an die Menschen, die im Afghanistan-Krieg Opfer schwerer Völkerrechtsverletzungen durch die Konfliktparteien geworden sind.

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