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Ungarn: Ein Frauenschläger als Hoffnungsträger des Westens?

Ungarn: Ein Frauenschläger als Hoffnungsträger des Westens?
Péter Magyar, Judit Varga und Viktor Orbán

Der ehemalige Ehemann der zurückgetretenen ungarischen Europawahl-Spitzenkandidatin Orbán-Vertrauten Judit Varga will die einzige authentische politische Kraft im Lande werden. Doch der Hoffnungsträger des Westens hat eine sehr dunkle Seite.

von Krisztina Koene

Vor kurzem haben wir über die politischen Turbulenzen in Ungarn berichtet, die auf die Begnadigung eines in einen Kindesmissbrauchsprozess verwickelten Mannes durch die Staatspräsidentin folgten. Anfang Februar, ein Jahr nach dem Ereignis selbst, machte ein linkes Magazin die Tatsache der Begnadigung bekannt, was innerhalb kürzester Zeit zu einer medial inszenierten Empörung vor allem in der Hauptstadt Budapest geführt hat. Darauf folgte nach wenigen Tagen der Rücktritt der Staatspräsidentin Katalin Novák und der Fidesz-Spitzenkandidatin für die Europawahl und ehemaligen Justizministerin Judit Varga, beide Hoffnungsträger der Regierungspartei Fidesz des Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

Unser Bericht endete mit dem Auftauchen von Péter Magyar, dem geschiedenen Ehemann von Judit Varga, der nach dem Rücktritt seiner Frau von allen ihren Ämtern anfing – angeblich, um sie zu schützen –, Fidesz mit ungeheuerlichen Enthüllungen zu drohen. Diese würden, so orakelte er, zum sofortigen Rücktritt der Regierung und des Ministerpräsidenten Orbán führen. Da kurz darauf jedoch ein Polizeibericht in den Medien aufgetaucht war, in dem der selbsternannte Erlöser beschuldigt wurde, seine Frau verbal und physisch missbraucht zu haben, erschien es zu der Zeit so, als sei die Erlöserfrage damit erledigt. Weit gefehlt. Wer das gedacht hat (wie auch Ihre Berichterstatterin), hatte den Charakter sowohl von Péter Magyar als auch von Teilen des ungarischen Wahlvolks falsch eingeschätzt.

Denn völlig unerschüttert durch die Beweise und Aussagen, er habe seine Frau jahrelang psychisch und physisch missbraucht, kündigte Magyar eine Kundgebung für den 15. März, einen der größten Nationalfeiertage Ungarns, im Herzen von Budapest an. Zum Event sind tatsächlich wie aus dem Nichts etwa 20.000 (nach Magyar 50.000) regierungskritische Interessenten erschienen, die sich von den offensichtlich als lässlich betrachteten Sünden des neuen Helden von Huldigungen nicht haben abhalten lassen. Es herrschte eine stark aufgeladene Stimmung, die Reporterin eines oppositionskritischen Senders musste von der Polizei vor dem Mob gerettet werden.

Dort kündigte Magyar an, Vertreter der einzigen „nicht käuflichen politische Kraft“ zu sein, da auch die bisherige Opposition ein Instrument der Regierung sei. Sein politisches Programm bestand aus zwei Sätzen: Orbán ist korrupt! Fidesz raubt das Vermögen der Nation! Auf die Frage einiger aufdringlicher Journalisten, wer denn sein Event finanziert hat, konnte oder vielmehr wollte Magyar keine Antwort geben.

Die große Enthüllung – ein kleiner Knall

Aber noch ließ die große Enthüllung auf sich warten. Die kam schließlich am 26. März in Form einer Tonaufnahme vom Januar 2023, die ein insgeheim aufgezeichnetes „Gespräch“ zwischen Magyar und seiner damals noch Ehefrau und Justizministerin Judit Varga enthält. Das Thema des Gesprächs ist ein Strafverfahren in einem großen Korruptionsfall, in dem der Vorsitzende des staatlichen Amtes, der Gerichtsvollzieher sowie ein Staatssekretär des Justizministeriums gemeinsam große Summen bei den eingetriebenen Geldern abkassiert hatten.

Magyar behauptete nun, dass aus dem Gespräch mit seiner Frau hervorgehe, dass Antal Rogán, Leiter des Kabinettsbüros des Ministerpräsidenten, selbst an dem Korruptionsring beteiligt gewesen sei und dass er deshalb in die Prozessakten eingegriffen und Beweismaterial manipuliert habe. Weshalb er, und natürlich zusammen mit ihm Orbán und die ganze Fidesz-Regierung, zurücktreten müsse.

Dem aufgenommenen Gespräch zuzuhören, ist eine ähnliche Zumutung, wie Zeuge eines Stasi-Verhörs zu sein. Es ist eine inquisitorische Situation, in dem der Ehemann die Stichworte gibt, immer wieder auf ihm passende Antworten drängt, selber Behauptungen aufstellt und versucht, Varga zu veranlassen, ihm zuzustimmen. Viel kommt dabei nicht heraus, auf jeden Fall nicht die Behauptung (auf die sich die deutschsprachigen Mainstreammedien gestürzt haben), Ungarn sei ein Mafiastaat. Diese Behauptung kam von Magyar selbst, der dies bemüht war, seiner Ehefrau unterzuschieben. Auf Magyars Drängen hin sagt Varga an einer Stelle tatsächlich, dass die Akten vielleicht verändert worden seien, außerdem stimmt sie der Behauptung zu, dass der betreffende Staatssekretär von der Regierung wegen seiner Machenschaften gewarnt wurde.

Die Behauptung, die Akten seien manipuliert worden, hat die Staatsanwaltschaft noch am selben Tag zurückgewiesen. Judit Varga wurde von den Ermittlungsbehörden befragt, sie erklärte, sie habe unter großem Druck Dinge gesagt, die ihr Mann von ihr hören wollte. Varga, die bis dahin vor allem aus Rücksicht auf die drei minderjährigen Kinder zu Fragen ihres Privatlebens in der Öffentlichkeit ausdauernd geschwiegen hatte, sprach danach in einem fast zweistündigen Interview zum ersten Mal über den Albtraum ihrer Ehe mit Magyar. Es war eine Art Beichte, die selbst für die Zuschauer kaum zu ertragen war, wurde hier die private Tragödie einer Frau zum unwürdigen Politikum gemacht.

Wer ist der neue Retter?

Wer also ist dieser Péter Magyar, der zum neuesten Retter der ungarischen Nation werden soll? Magyar kommt aus einer alteingesessenen Budapester Elitefamilie. Eine seiner Großmütter ist die Schwester des ehemaligen konservativen Staatspräsidenten Ferenc Mádl, sein Großvater ist Pál Erőss, ein ehemaliger Richter des Obersten Gerichts. Seine Mutter Mónika Erőss war stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Richteramtes, inzwischen pensioniert. Der studierte Jurist Magyar hatte es aus eigener Kraft nicht allzu weit gebracht, auf jeden Fall nicht annähernd so weit wie seine Frau. Aber er war und ist der festen Überzeugung, etwas Besseres verdient zu haben.

Die aus Miskolc stammende Judit Varga verfügte über keinen vergleichbaren familiären Hintergrund. Es war immer schon eine Stärke von Fidesz, junge Talente vom Lande statt aus der Hauptstadt zu rekrutieren, was die Budapester Intelligenzia Orbán und der Partei nie verziehen hatte. Zu diesen Talenten gehörte auch die junge Frau, die schon als Studentin Herausragendes leistete, sie ging zunächst als Staatssekretärin für die Beziehungen zur EU nach Brüssel, und ab 2019 durchlief sie als Justizministerin eine glänzende Karriere. Als Justizministerin trat sie 2023 zurück, um sich voll auf ihren Europa-Wahlkampf konzentrieren zu können. Sie galt bis zu ihrem Rücktritt als großes politisches Talent der Zukunft.

Magyar wurde währenddessen als Ehemann der Ministerin vom Fidesz-Netzwerk mit lukrativen Positionen in Aufsichtsräten und weniger wichtigen staatlichen Institutionen, wie dem Institut für Studentendarlehen und der staatlichen Busgesellschaft versehen und einigermaßen ruhig gehalten. Er war mehr als ein Jahrzehnt lang Teil und Nutznießer genau jenes Fidesz-Netzwerkes, das anzuprangern er jetzt zu seinem politischen Programm gemacht hat. Die verschiedenen Posten brachten ihm ein geschätztes Einkommen von etwa 10.000 Euro im Monat ein, ermöglichten ihm, seinen – etwas kleingeratenen – Körper tagsüber in Fitnessstudios zu stählen und mal kurz nach London zu jetten, um ein Dutzend eng auf seinen Leib geschnittene Hemden in der Oxford Street zu ordern.

Magyar hat sein politisches Coming-out sorgfältig vorbereitet. Er fertigte rechtzeitig die Tonaufnahme an und drohte schon vor der Scheidung seiner Frau, diese sofort zu veröffentlichen, sollte man ihm seine Posten entziehen. In Budapest geht das Gerücht um, dass Varga im Februar gar nicht wegen der Begnadigung, sondern wegen den ständigen Erpressungen ihres Ex-Ehemannes von der Spitzenkandidatur der Europawahl zurückgetreten sei, um zu verhindern, dass Ungarn durch den Amoklauf von Magyar mitten im Wahlkampf zum Opfer eines Skandals wird. Doch seine „Jobs“ wurden tatsächlich gekündigt, und damit nahm das Drama seinen Anfang.

Wer wählt Péter Magyar?

Nach alldem muss die Frage erlaubt sein, was das für eine Gesellschaft ist, in der größere Massen einem Mann huldigen, der seine Frau misshandelt, Gespräche mit ihr insgeheim aufzeichnet, jahrzehntelang als Parasit von Gnaden ihrer Partei lebt, und nun – als politisches Programm – Andere anprangert, die dasselbe tun? Es ist erschütternd zu erleben, dass gerade diejenigen oppositionellen LGBT-Propagandisten, die beim geringsten Anlass am lautesten me too geschrien haben, nun mit Eiseskälte die Not einer Frau abtun, weil sie in der falschen Partei ist, und sich stattdessen mit ihrem Peiniger verbünden.

Magyars Rechnung war bei seinem Eintritt in die Politik nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Mit dem Thema Korruption kann man in Ungarn immer reüssieren, der medial immer wieder angefachte Neid ist ein sicheres Thema, ebenso das Versprechen, jetzt aber wirklich die Regierung zu stürzen. Damit hatte Magyar, obwohl er selbst in den vergangenen 13 Jahren als ein von Fidesz ausgehaltener Parasit gelebt hatte, einen Nerv in der ungarischen Gesellschaft, vor allem dem linken Teil der besseren Budapester Gesellschaft getroffen. Schon am 13. März, noch bevor Magyar die Parteigründung verkündet hatte, hieß es in linken Medien, von denen, die überhaupt von ihm gehört haben, würden bei den nächsten Wahlen 13 Prozent für seine „Steh auf, Ungar!“-Partei stimmen. Am 16. März, also einen Tag nach der Kundgebung, sollen es sogar mehr als 20 Prozent gewesen sein.

Magyars Auftauchen im ungarischen politischen Leben ist ein Krisenzeichen, weniger der Regierungspartei Fidesz als vielmehr der Opposition. Diese hat im Laufe der Jahre immer mehr an Glaubwürdigkeit eingebüßt, vor allem dank der ausländischen finanziellen und ideologischen Einflussnahme. Auf der linken, oppositionellen Seite macht sich allmählich Verzweiflung breit, denn man wartet nun seit Jahren vergeblich auf den echten Führer, der dem Orbán-Regime endlich ein Ende bereitet. Es sind diese Enttäuschten und Hoffnungslosen, die die Gefolgschaft Magyars ausmachen und nun erneut auf ein Wunder warten.

Die Verluste von Fidesz sind seit dem Begnadigungsskandal mit drei bis vier Prozent überschaubar, denn Magyar nimmt, wenn überhaupt, Stimmen von der linken und grünen Opposition weg. So lange Orbán glaubhaft an den drei Grundsätzen, keine Migration, keine LGBT-Ideologie und Fernhalten vom Ukraine-Krieg, festhält, werden sich die Wähler immer noch für ihn als dem weit kleineren Übel entscheiden. Ja, sie wissen von der Korruption und den Netzwerken von Fidesz, aber die drei Orbánschen Prinzipien sind ihnen entschieden wichtiger. Für den 6. April, den kommenden Samstag, hat Magyar zu einer Großkundgebung in Budapest aufgerufen, zu der er „Hunderttausende“ erwartet. Wir werden sehen.

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