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Hongkong ist Geschichte

Hongkong ist Geschichte
Hongkong bei Nacht

In nur drei Jahren hat China unter dem Corona-Deckmantel alle Freiheitsrechte in Hongkong ausgeschaltet, die Stadt gesäubert. Während man hierzulande Klima- und BLM-Proteste feiert, sind Hongkongs Freiheitskämpfer heute im Westen vergessen und es herrscht wieder „business as usual“ mit Peking.

von Sebastian Thormann

In Hongkong läuft dieser Tage der Gerichtsprozess gegen Ex-Medienmogul Jimmy Lai an. Der 76-jährige Brite ist eines der prominentesten Gesichter des liberalen, Peking-kritischen Lagers in Hongkong – und seit drei Jahren hinter Gittern. Hongkongs Peking-hörige Regierung wirft ihm Verbrechen unter dem neuen „Nationalen Sicherheitsgesetz“ vor – konkret Kollaboration mit fremden Mächten und Aufwiegelung.

Sein jetziger Prozess ist aber nur die Krönung der seit 2021 laufenden autoritären Gleichschaltung mit Festland-China. Bereits in den letzten Jahren in Haft wurde er zu etlichen Gefängnisstrafen wegen „illegaler Versammlungen“ verurteilt. Wenn Hongkong einfach nur ein anderer Teil Chinas wäre, wäre das ganze nichts Ungewöhnliches. Dort herrscht bekanntlich seit 1949 eine Diktatur mit oft totalitären Zügen, wo die Justiz nur eines von vielen Instrumente zur Durchsetzung der Herrschaft der kommunistischen Partei ist.

In Hongkong aber war es noch vor wenigen Jahren anders. Auch da war die Stadt keine Muster-Demokratie, aber lautstarker Dissens in Medien und auf der Straße war möglich. In nur drei Jahren hat sich das fundamental geändert. Das Perfide: Das britische System, das die Stadt über mehr als ein Jahrhundert kannte, ist in seiner Fassade noch da. Gereicht hat es, nur an ein paar entscheidenden Stellen, die autoritären Stellschrauben anzuziehen und so Opposition unmöglich zu machen. Das sollte dem Westen eine Lehre sein.

Der entscheidende Schlag dazu war das „Nationale Sicherheitsgesetz“ von 2020, das Peking von außen der Stadt aufdrückte. Nicht beschlossen vom lokalen Parlament, dem „Legislative Council“, sondern vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses – Chinas kommunistisch kontrollierter Zentralparlament. Nur einen Tag vor dem 23. Jahrestag der Übergabe Hongkongs von Großbritannien an China, trat das Gesetz am 30. Juni 2020 in Kraft.

Wie für so viele Freiheitseinschränkungen weltweit, war die Corona-Pandemie dafür die ideale Gelegenheit: Als Proteste verboten waren, konnte Peking das Gesetz reibungslos über die Bühne bringen. Dazu kommt, dass es eben von der Zentralregierung kam. Bisherige Gesetzesverschärfungen scheiterten immer wieder im lokalen „Legislative Council“ – nicht unbedingt, weil dort alle demokratisch gewählt wurden (nur etwa die Hälfte), sondern auch, weil selbst regierungstreue Abgeordnete da noch eher den Druck der Demonstrationen spürten.

Die Macht der Straße

Etwa im Jahr zuvor bei den Protesten rund um ein geplantes Auslieferungsgesetz (auch an Festland-China), an denen sich an manchen Tagen jeder Vierte der gut 7 Millionen Einwohner beteiligte und so die Straßen der Stadt füllte. Das Gesetz wurde damals zurückgezogen, aber Peking wollte nicht aufgeben. Jetzt stand die endgültige Gleichschaltung der Stadt auf dem Plan. Und mit dem „Nationalen Sicherheitsgesetz“ war es dann so weit:

Es führte die neuen schwammig definierten Straftaten der „Sezession“, „Aufwiegelung“ und „Kollaboration“ mit dem Ausland ein und machte eine ganze Zahl an kleinen aber entscheidenden Änderungen am bisherigen Hongkonger Rechtsstaats. Der existierte nämlich bisher voll nach britisch-angelsächsischem Vorbild, inklusive einer kleinen Minderheit von britischen Richtern.

Mit dem Gesetz wurde etwa ein „Amt zur Wahrung der nationalen Sicherheit der Zentralregierung in der Sonderverwaltungszone Hongkong“ eingerichtet, ein chinesischer Fremdkörper im Hongkonger Rechtssystem, der Hongkonger ab sofort auch in den Gerichten des kommunistischen Festlands verfolgen kann.

Zudem wurde die Hongkonger Justiz selbst auf Linie gebracht: Für Verfahren nach dem „Nationalen Sicherheitsgesetz“ wurde die Geschworenen-Jury abgeschafft und Richter für solche wurden ab sofort von der Regierung handverlesen ausgewählt. Ausländische Anwälte (vor allem Briten), die bisher erlaubt waren, konnten nun von der Regierung von Verfahren ausgeschlossen werden.

Zudem bekam die Hongkonger Polizei neue Befugnisse, alles von Durchsuchungen ohne Gerichtsbeschlüsse bis hin zum Einfrieren von Konten Verdächtiger. Letzteres war entscheidend dafür, Jimmy Lais regierungskritisches Medienimperium praktisch über Nacht zu killen – indem man eben die Konten seiner Zeitung „Apple Daily“ einfror und es ihr unmöglich machte Personal-, Miet- und Druckkosten zu zahlen.

Das Ende des freien Hongkongs

Die Auswirkungen des Gesetzes waren sofort zu spüren. Manche oppositionelle Parteien lösten sich kurze Zeit später selbst auf, Publizisten wie Lai wurden nur Wochen später festgenommen. Die jährlichen Gedenkveranstaltungen zum Massaker der chinesischen Regierung an Studenten-Demonstranten auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989, die auch für den Kontrast der Freiheit in Hongkong im Vergleich zum Festland standen, sollten kein weiteres Mal stattfinden.

Die kommunistische Partei hatte auch in Hongkong gesiegt. Dass nun auch die Wahlgesetze für das „Legislative Council“ und auch dieses Jahr das Wahlgesetz für die „District Councils“, die lokalen Gemeinderäte, so stark abgeändert wurden, dass sie selbst formell keinen Anschein mehr machen, vom Volk gewählt zu sein, sondern in großen Teilen direkt von oben herab bestimmt werden, ist da auch kein Wunder mehr. Die einst so lebendige Freiheit in Hongkong wurde in kürzester Zeit erstickt.

Dass China damit gegen die Garantien der chinesisch-britischen Gemeinsamen Erklärung zu Hongkong verstoß, wo es versprach, zumindest noch 50 Jahre lang die westlichen Freiheiten der Stadt zu respektieren, das schien im Westen, gerade in Europa kaum jemanden zu interessieren. Die brutale Repression der Demonstranten und Journalisten, die auch nach dem „Nationalen Sicherheitsgesetz“ weitermachten, war hierzulande vielleicht einmal eine vorsichtig formulierte Protestnote wert.

Statt den Demonstranten in Hongkong, die ein Leben im Gefängnis riskierten, um für ihre Freiheit auf die Straße zu gehen, erklärte man hierzulande lieber die Plünderer der „größtenteils friedlichen“ Black Lives Matter-Unruhen in Amerika und die Klimakleber in Europa zu den Helden unserer Zeit. Klimawandel und „systemischer Rassismus“, das sind die Themen unserer Zeiten.

Debatten über Diktatur und Freiheit aber? Unattraktiv, lästig, in den Corona-Jahren beinahe verdächtig. Wer da für Freiheit demonstrierte, war schnell potenziell ein Querdenker, und jeder Querdenker womöglich schnell ein „verfassungsschutzrelevanter Staatsdelegetimierer“.

Hongkonger Demonstranten passen da auch einfach nicht ins postkoloniale Selbstverständnis vieler im Westen: Denn siehe da, in Hongkong demonstrierte man mit britischen und amerikanischen Flaggen, während letztere zugleich auf BLM-Demos in Amerika verbrannt wurden. Die herbeigeredete vermeintliche Unterdrückung im Westen, die böse „Kolonialisierung“, die sieht dort keiner. Im Gegenteil: Nicht wenige würden sich gerade die Briten wieder zurückwünschen, auch wenn diese Zeiten natürlich vorbei sind.

Denn sie haben über ein Jahrhundert unter einem westlichen System gelebt, Freiheit und explodierenden Wohlstand erlebt und leben jetzt in einer Stadt, die immer mehr zu einem autoritären Apparat umgebaut wird – ihr Schicksal größtenteils vergessen vom Westen, obwohl sie einst Teil davon waren, ein Außenposten und Aushängeschild des British Empire.

Peking nimmt sich, was es will

Klar, die Möglichkeiten des Westens, das Ende des alten Hongkongs und der Beginn eines neuen dunklen Kapitels in der Geschichte der Stadt in den letzten paar Jahren zu verhindern, waren begrenzt. Tatsache ist aber auch: Begrenzt waren sie, weil man sie mehr als zwei Jahrzehnte zuvor bereits an China übergab in der Hoffnung, das Regime würde sich an die Vereinbarung halten und Hongkongern ihre Freiheit – wenigstens für 50 Jahre – belassen. Am Ende hielt das Versprechen nicht einmal halb so lange.

Entgegen konventioneller Weisheiten war dabei Großbritannien übrigens völkerrechtlich gar nicht an eine Übergabe der Stadt verpflichtet. Dies galt nur für die um die Stadt umliegenden Territorien, die gepachtet waren. Der Stadtkern selbst war einst vollumfänglich an die Briten übergeben worden – ohne Enddatum.

Eins sollte die Tragödie Hongkongs den Westen jedenfalls lehren: Die Versprechen Pekings sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Nachdem Hongkong Teil Chinas wurde, war alles, was die Umsetzung der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ garantierte, der gute Wille Pekings, einer kommunistischen Diktatur – und der hielt nicht lange. Heute hat Hongkong noch eine vorgeblich angelsächsische Fassade, hinter der aber ein System steckt, in dem die Herrschaft der kommunistischen Partei nicht ansatzweise zur Diskussion gestellt werden darf, wenn man nicht wie Jimmy Lai enden will.

Nächster Kandidat aus Pekings Sicht für „Ein Land, zwei Systeme“: Taiwan. Da verspricht das Regime auch hoch und heilig, man sei nicht an Krieg interessiert, nur an „friedlicher Wiedervereinigung“ – eine Vereinigung mit einem System freilich, das in Taiwan fast jeder ablehnt. Wie ernst das angesichts, wöchentlich bis monatlicher Manöver rund um die Insel ist, kann sich wohl jeder ausmalen. Die Frage für den Westen bleibt nur, ob man diesmal genauso zuschauen wird, wie sich Peking ein weiteres Mal eine hoch entwickelte, liberale, westlich-orientierte Gesellschaft einverleibt.

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